Wochenmarkt_Miesbach_Florian Bachmaier_2019, © Kulturamt der Stadt Miesbach
Pfarrer Erwin Sergel und Pfarrerin Anika Sergel-Kohls, © Verena Wolf

Zwei für Miesbach

Geht man jetzt zu den Marktzeiten an der evangelischen Apostelkirche vorbei, dringt Orgelmusik ans Ohr: Erleichternd, tröstend und beruhigend berührt sie das Herz. „Ja“, bestätigen Anika und Erwin Sergel, „zu diesen Zeiten üben jetzt Schüler und Studenten für uns alle – häufig kommt auch Andrea Wehrmann, unsere Kantorin.“

Das Ehepaar Anika Sergel-Kohls und Erwin Sergel, das seit 2010 das evangelische Pfarramt in Miesbach leitet, empfängt mich im Saal des evangelischen Gemeindehauses zum Interview; hier ist genug Platz, um in Coronazeiten sicheren Abstand halten zu können.

Mich interessiert, ob Passanten und Marktbesucher tatsächlich in die Kirche kommen, wenn sie die Musik hören. „Ja“, ist sich das Pfarrerehepaar einig. „Immer wieder gehen Menschen ein und aus und Kerzen brennen. Und auch die Andachten für zu Hause, die wir auslegen, werden mitgenommen.“ Nur wenig später sehe ich, wie eine Frau mit ihrem gefüllten Einkaufskorb die Kirche betritt. Und sie wird in der knappen Stunde, die wir uns unterhalten, nicht die einzige sein, die sich diese besondere Auszeit gönnt…

 

Nah am Menschen

Musik und Andachten – beides sind Möglichkeiten, den Gläubigen in dieser Ausnahmesituation Unterstützung anzubieten. Doch Anika Sergel-Kohls und Erwin Sergel reicht das nicht. Sie wollen aktiv helfen und rufen von sich aus Gemeindemitglieder an, von denen sie wissen, dass sie alleine oder in einem Heim leben. „Das funktioniert auch anders rum“, erzählt Anika Sergel-Kohls: „Bei uns hat auch schon das Telefon geklingelt und jemand hat uns gebeten, einmal nach der Mutter zu sehen, die in der Nähe wohnt.“ Dass solche Anrufer nicht immer zur evangelischen Gemeinde in Miesbach gehören, wundert im Pfarrhaus keinen: „In Miesbach funktioniert die Ökumene nicht nur sehr gut – sie ist etwas ganz Selbstverständliches. Wir tauschen uns mit dem katholischen Team ganz hervorragend aus.“ Selbstverständlich ist so viel Selbstverständlichkeit allerdings keineswegs. Noch in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gingen oft tiefe Risse durch „gemischt-konfessionelle“ Familien. „Wir sehen das heute ganz realistisch. Gerade in Miesbach gibt es viele Familien, in denen das Ehepaar unterschiedlichen christlichen Konfessionen angehört. Wir öffnen daher die Türen für die Gemeinsamkeiten, damit es für alle leichter wird.“

 

Im Dialog

Offene Türen, so erzählen Sergels, haben sie von Anfang an in Miesbach vorgefunden. „Der Anfang wurde uns leicht gemacht“, wissen die beiden noch. „Gleich als wir ankamen, hat man uns herzlich empfangen. Selbst der Pfarrgarten wurde für unsere Kinder, die damals noch klein waren, gegen die Schlierach hin gesichert.“ Seither hat sich die Familie in Miesbach etabliert und ist zum Motor eines regen Gemeindelebens geworden, das ebenso von der Verbundenheit mit der Stadt wie von der Weltoffenheit der beiden Pfarrer profitiert. Beide hatten schon ein Stück von der Welt gesehen, ehe es sie ins Bayrische Oberland verschlug – so waren sie unabhängig voneinander je ein Jahr in Jerusalem. Daher ist es für sie ganz natürlich, über den eigenen Kirchturm hinauszudenken und sich auch Gedanken über den Zustand der Welt aus christlicher Sicht zu machen. „Christen sind ja nicht automatisch die edleren Menschen“, sagt Anika Sergel-Kohls, „wir müssen uns einbringen und ein Gespräch anbieten – das habe ich zum Beispiel in Jerusalem gelernt. Da hat man die anderen Konfessionen eingeladen, wenn man sich unterhalten wollte. Und bei einem Kaffee lernt man sich am besten kennen.“ Wir sind uns einig, dass es in Miesbach eine erstaunliche Gesprächskultur gibt: vom Internationalen Frauenfrühstück bis zur Arbeit der Amnesty International-Gruppe oder bis zur Wertschätzung und dem Austausch mit der muslimischen Gemeinde… Erwin Segel ergänzt: „Wir sind Teil einer weltumspannenden christlichen Gemeinde. Das sollten wir nützen und uns bewusst machen, dass Konflikte nur in einem aufrichtigen Gespräch gelöst werden. Wenn erst einmal die Waffen sprechen in einem Konflikt sind 1.000 Chancen zum Gespräch schon vorbeigegangen…! Ich hoffe, dass wir Menschen lernen, global gerechter zu denken und zu handeln.“

 

Ein großes Projekt für die Zukunft

Was im Großen schwierig ist, kann im Kleinen leichter sein. Und so kommen wir auf den Umbau zu sprechen, der dem evangelischen Gotteshaus mehr Platz fürs Miteinander und für Veranstaltungen schenken soll. LEADER-gefördert soll es in den nächsten Monaten realisiert werden. Corona bedingt hat das Projekt gerade Pause. Für Anika Sergel-Kohls und Erwin Sergel ist der Umbau eine Herzensangelegenheit. „Wir wollen das Gemeindehaus zur Stadt hin noch mehr öffnen und wir wollen Barriere frei sein“, erklärt Erwin Sergel den Grundgedanken. „Der Saal hier ist überakustisch, unten ist es dunkel und klein – auch die Küche ist einfach zu klein. Das alles soll sich ändern. Mit dem neuen Gemeindehaus sollen einfach auch die Schwellen, sich am Gemeindeleben zu beteiligen, noch weiter abgebaut werden“, bekräftigt Anika Sergel-Kohls. Beide wünschen sich, dass man den Bau gemeinsam mit allen Beteiligten gut und schnell realisieren kann. Das größere Haus ist auch wichtig für eines der Kernanliegen der beiden Pfarrer, die selbst drei Kinder haben: Die Jugendarbeit soll noch verstärkt und schöner werden. Beide lieben diesen Bereich ihrer Aufgaben besonders, bringt es sie doch in engsten Kontakt mit jungen Menschen. Anika Sergel-Kohls erteilt Religionsunterreicht in der Schule, Erwin Sergel betreut die Konfirmationsgruppen. Gerade für Jugendliche gehört das Erleben der eigenen Persönlichkeit in der Gemeinschaft mit Gleichaltrigen zu den wichtigsten Erfahrungen. Für manche sind sie vielleicht zunächst wichtiger als die Beschäftigung mit Glaubenserfahrungen und christlichen Grundwerten. „Wir haben zudem ein super Hauptamtlichenteam und Marion Münster, unsere Jugendreferentin und Diakonin, hat einen tollen Draht zu den Jugendlichen.“

Zum Schluss frage ich noch, was die evangelische Gemeinde in Miesbach so besonders macht. Anika Sergel-Kohls muss nicht lange überlegen: „ Wir sind dabei, wir gehören dazu. Man sieht uns gerne, wie beim 1000-Lichterglanz oder beim Schöpfungstag. Ich glaube, die Menschen spüren, dass sie uns willkommen sind.“ Erwin Sergel nickt und findet eine Brücke zum momentan größten Projekt: „Mit dem neuen Gemeindehaus können wir noch viele Impulse für das Stadtleben beisteuern.“

Text und Foto: Verena Wolf

Impressionen

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Zwiebeln, © Kulturamt der Stadt Miesbach
Zwiebeln

© Kulturamt der Stadt Miesbach

Gemüse von einem Marktstand, © Kulturamt der Stadt Miesbach
Am Markt

© Kulturamt der Stadt Miesbach

Blumen am Markt, © Kulturamt der Stadt Miesbach
Blumen am Markt

© Kulturamt der Stadt Miesbach

Margot und Lisa auf dem Grünen Markt in Miesbach, © Kulturamt der Stadt Miesbach
Margot und Lisa

© Kulturamt der Stadt Miesbach