Fremdenbuch-Eintrag Paul Heyse 1889, © Stadtarchiv
Villa Kammerer Rosenheimerstraße, © Isabella Krobisch

Wiederentdeckung eines Nobelpreisträgers

Wiederentdeckung eines Nobelpreisträgers

 

Mit Paul Heyse erhielt im Jahr 1910 ein Star der damaligen Literaturszene den Nobelpreis. In Miesbach waren der charmante Mann und seine Familie vertraute Gesichter.

 

In der Miesbacher Sommerfrische

In Miesbach erinnert bis heute die Paul Heyse Straße am Harzberg an den ehemaligen Sommergast, der viele Jahre lang für unbeschwerte Ferien und auf Verwandtenbesuch (seine zweite Frau war weitläufig mit der Familie Waitzinger verwandt) in Miesbach weilte. Im Fremdenbuch der Villa Kammerer ist zum Beispiel für 1889 vermerkt, dass Heyse vom 13. Juli bis 27. September – begleitet von Frau, Köchin und Kammerzofe – hier seine Ferien verbrachte. Im darauffolgenden Jahr blieb er sogar bis zum 1. November… Lange Wochen, in denen Heyse auf weiten Wanderungen die wunderschöne Landschaft durchstreifte, häufig in den Gasthäusern einkehrte und sogar sonntags in die Messe ging, obwohl er protestantisch war. Bei all dem machte es ihm Freude, sich mit den Menschen, die er traf und beobachtete, zu beschäftigen. Vier seiner Novellen sind so entstanden, die im Oberland und in Miesbach selbst angesiedelt sind.

 

Geboren in Berlin

Paul Heyse war einer derjenigen, die mit dem sprichwörtlichen „goldenen Löffel“ geboren wurden: Im gebildeten und begüterten Elternhaus in Berlin wächst Paul als einziges Kind seiner Eltern auf. Der Vater, Karl Heyse, Professor für klassische Philologie und allgemeine Sprachwissenschaft, hatte eine der interessanten Töchter des Hofjuweliers und Bankiers Salomon Jacob Salomon geheiratet – verwandt mit der Familie Mendelssohn Bartholdy.

Paul schrieb schon früh erste Gedichte, schloss sein Studium mit der Promotion ab und erhielt 1852 ein Stipendium, das es ihm ermöglichte, ein glückliches Studienjahr in Italien zu verbringen.

 

Ein König ruft!

Im Jahr 1854, Heyse lebte wieder in Berlin, änderte sich sein Leben von Grund auf. Einer seiner Bekannten, der damals hoch renommierte Dichter Franz Geibel, überbrachte ein verlockendes Angebot aus München: Dort trug sich der rührige bayrische König Maximilian II. mit der Absicht, einen literarischen Zirkel aufzubauen, der den Salons in Wien und Berlin in nichts nachstand. Heyse, der mit Geibel das Zentrum des literarischen Lebens bilden sollte, winkten ein mehr als gutes Gehalt und eine Professur. Der damals 24jährige, der sich bereits einen Namen als Schriftsteller gemacht hatte, fackelte nicht lange: Heyse heiratete kurzentschlossen und zog noch im selben Jahr in die bayrische Residenzstadt.  

 

Liebling der Münchner

Den Umzug an die Isar hat Heyse nie bereut. Denn der junge Schriftsteller brachte alles mit, was man braucht, um langanhaltenden Erfolg zu haben: Er war begabt und lebensfroh, begütert und schön, dabei liebenswert, klug und vor allem immens fleißig. Schnell gelang es ihm, das Königspaar mit seinen Gedichten, Geschichten und vor allem mit seiner charmanten Wesensart für sich einzunehmen. Die Heyse-Villa in der Luisenstraße 22 entwickelte sich zu einer festen Adresse für Künstler in München.

Der Kreis seiner Freunde, Besucher und Bekannten liest sich wie das Who-Is-Who des 19. Jahrhunderts: Felix Dahn, Adolf Friedrich von Schack, Frank Wedekind, Ernst Wiechert, Isolde Kurz und Joachim Ringelnatz, Eduard Mörike, Gottfried Keller sowie Franz Lenbach, der gleich auf der anderen Straßenseite wohnte und Arnold Böcklin. Dabei war Paul Heyse keiner, der sich im Glanz anderer sonnen wollte. Im Gegenteil – Theodor Fontane und Theodor Storm wurden von Heyse finanziell und mit Kontakten gefördert. Außerdem war Heyse in ganz München bekannt und beliebt – ging er durch den Englischen Garten, lüfteten die Herren den Zylinder und die Damen setzten ein Lächeln auf.

 

Novellen in Bestform

Sein größtes Verdienst als Schriftsteller ist es, die Möglichkeiten der Novelle als Kunstform ausgeschöpft und ihre ganz eigenen dramaturgischen Gesetze durchschaut zu haben. In immer wieder ergreifenden und überraschenden Wendungen schildert er auf wenigen Seiten packende Schicksale. Kein Wunder, dass er um 1860 ein Lieblingsautor der Deutschen war. Neben 117 Novellen schrieb Heyse Gedichte, Balladen, Romane, Dramen und die Autobiografie „Jugenderinnerungen und Bekenntnisse“ (1900).

 

Mann mit Überzeugungen

Heyse war liberal und weltoffen. Das zeigte sich in den erotischen Passagen seiner Werke, das zeigte sich aber auch an seinem Interesse für andere Länder und Kulturen. Es zeigte sich auch darin, dass er den ihm 1910 verliehenen Adelstitel selbst nie verwendet hat. Italien blieb er ein Leben lang verbunden – viele seiner Novellen greifen Stoffe aus der italienischen Geschichte auf. Außerdem arbeitete Heyse als Übersetzer vor allem aus dem Italienischen, machte aber auch Iwan Turgenjew und Fjodor Dostojewski in Deutschland bekannt.

Mit zunehmendem Alter und wachsender Bekanntheit nutzte Heyse seine sichere Position, um sich für Benachteiligte zu engagieren: Er setze sich für die Sozialisten ebenso ein wie für eine bessere Stellung der Schriftsteller, initiierte die „Genossenschaft deutscher Bühnenschriftsteller und Komponisten“, trat für den Tierschutz und für den Erhalt der Münchner Wärmestuben ein. Als Kaiser Wilhelm II. einen jüdischen Autor verbot, trat Heyse, Mitglied des Bewertungskomitees, aus der Jury aus.

 

Zurück ins Licht

Als der am 25. März 1830 geborene Heyse schließlich 1910 im Alter von 80 Jahren den Literaturnobelpreis erhielt, hatte sich die Welt schon verändert. Seine Geschichten galten als zu wenig lebensnah… Nach dem 1. Weltkrieg wurde Heyse, auch wegen seiner jüdischen Mutter, praktisch nicht mehr gelesen und geriet nach und nach in Vergessenheit.

Im jüngst erschienen Roman von Hans Pleschinski allerdings dreht sich alles um den einst gefeierter Dichterfürsten. Das Buch „Am Götterbaum“ begleitet drei Damen, die auf Heyses Spuren durchs heutige München streifen. Eine vergnügliche und kluge Lektüre.

 

Überraschung im Waitzinger Bräu

Es gibt ein wunderbares Zeitdokument von Prof. Dr. E. Stemplinger (1870-1964), von Beruf Lehrer und aus Neigung Schriftsteller, der seinen Lebensabend in Elbach verbrachte. Er war Mitglied der Gruppe „Die Heimatfreunde“ und hat für die Nachwelt bewahrt, was sich im August 1890 im Gasthof Waitzinger zutrug. Stemplinger schreibt: „Am Ofentisch saßen der alte Privatier Heimbucher, der Konditor Schröck, der Glasermeister Egger […] und disputierten ziemlich lebhaft. Thema waren die Sommerfrischler.“ Da die Herren das Für und Wider des damals noch jungen Tourismus besprachen, kam das Gespräch auch auf Paul Heyse, der mit Frau, Köchin und Stubenmädchen in der Villa Kammerer (heute Notariat) „loschierte“. Heimbucher, die renommierte „Leseratz“, erklärte gerade, dass Heyse ein bedeutender Künstler sei, als Heyse leibhaftig die Gaststube betrat. Im Original liest sich das so: „Kaum hatte [Heimbucher] ausgesprochen, öffnete sich die Türe und herein trat raschen Schrittes mit fliegender Pelerine ein bildschöner Mann mit graumeliertem Lockenhaar und Bart.“

Heimbucher flüstert noch ergriffen „So schaut also a richtiger Dichter aus!“, als Heyse auch schon an den Tisch der Honoratioren der Stadt gewunken wird. Zunächst sagt er nur wenig, hört Bürgermeister, Arzt, Richter, Bergwerksdirektor, Pfarrer und den übrigen hohen Herren lieber zu. Als Heyse dann allerdings auftaut, unterhält er die ganze Runde mit Geschichten. Besondere Heiterkeit ruft eine Episode hervor, die sich bei einem Symposion des Königs Max (Maximilian II.) zugetragen hat: Der bedeutende Historiker Leopold von Ranke – wie Heyse gebürtiger Berliner und von König Max II. nach München berufen – schloss einmal eine seiner Reden mit „Führ Gott!“, weil er das bayrische „Pfüat Gott“ so für sich übersetzt hatte. Eine lustige Begebenheit, aber auch ein Indiz dafür, wie genau Heyse hinzuhören und hinzuschauen verstand.

 

Lesetipp

Heyse, Paul: Autobiografie, „Jugenderinnerungen und Bekenntnisse“ (1900) 

Pleschinski, Hans: Am Götterbaum, C.H. Beck

 

Text: Verena Wolf
Fotos: Isabella Krobisch, Stadtarchiv Miesbach

Impressionen

Stadt Miesbach, © Dietmar Denger
Stadt Miesbach

© Dietmar Denger

Stadtführungen_Drohnenaufnahme Miesbach_1920x1280
Stadtführungen_Drohnenaufnahme Miesbach_1920x1280
Miesbacher Tracht_Titel_Stadtplatz
Miesbacher Tracht_Titel_Stadtplatz
Genussführung_Sonja_Still (2)
Genussführung_Sonja_Still (2)
MB_Wochenmarkt-0081_1920x1280
MB_Wochenmarkt-0081_1920x1280