Bücher, © Verena Wolf
Lesepaten, © Verena Wolf

Unsere Lesepaten

Sie sind elf und sie leisten Großes: Die Miesbacher Lesepaten helfen Grundschulkindern beim Lesenlernen. Ist Lesen doch eine Kernkompetenz und das Tor zu einem erfolgreichen und glücklicheren Leben.

 

Herzblut für Kinder mit Leseproblemen

Wir sitzen auf Kinderstühlen in der Bibliothek der Miesbacher Grundschule. Natürlich sind die Stühle für uns zu klein – immerhin sind wir fünf erwachsene Frauen!

Trotzdem: Heute könnte es keinen passenderen Ort und keine bessere Sitzgelegenheit für uns geben – schließlich habe ich einen Termin mit den Miesbacher Lesepaten und bin gespannt, was sie mir hier, im fröhlich dekorierten Klassenzimmer, über ihre Arbeit erzählen werden. Von den insgesamt 11 Damen, die ein- bis zweimal in der Woche mit ihren Patenkindern unterrichtsbegleitend das Lesen üben, sind vier gekommen: Mariele Kohlhauf, Marianne Gmelin, Gabi Hesse und Gisela Strom werden mir erklären, wie eines dieser leisen Projekte funktioniert, mit denen in unserer Stadt ehrenamtlich und in aller Stille viel bewegt wird – fast könnte man sagen, viel „geheilt“ wird.

 

Der Weg zum Leseprofi

Mariele Kohlhauf, die in der Zusammenarbeit mit Sabine Steinel und mit der Schule die Rahmenbedingungen schafft, sich um die benötigten Räume, Terminkoordination und Organisation kümmert, sagt: „Wir haben an unserer Schule in Miesbach das Glück, dass wir den Bedarf an Lesepaten bisher ganz gut decken können. Von den 14 Klassen haben 13 Bedarf angemeldet. Und weil wir pro Schulstunde etwa mit zwei Kindern lesen können, ist das für alle eine gute Lösung.“ Dabei geht es nicht nur um die Erstleser der 1. Klasse. Bis zur 4. Klasse können Kinder diese spezielle Förderung erfahren. Ziel ist es, „Leseprofi“ zu werden, also Texte nicht nur einwandfrei lesen zu können – sondern sie auch zu verstehen.

Damit alle später einmal nicht nur Romane und Gedichte, sondern auch komplexe Formulare, Gesetzestexte oder Anleitungen aller Art lesen und verstehen können, müssen alle Schritte des Lernprozesses Lesen erfolgreich bewältigt werden. Ein weites Feld für die Lesepaten, die diesen Lernprozess tatkräftig und einfühlsam begleiten.

 

Vielschichtige Probleme überwinden

Die nötige Kompetenz bringen die Lesepaten aus unterschiedlichen Feldern mit: Allein fünf Damen – Evi Ehrhardt, Mariele Kohlhauf, Sabine Steinel, Silvia Strecker und My Thanh Acher – sind ehemalige Lehrerinnen oder noch in diesem Beruf aktiv. Marianne Gmelin, vielen im Landkreis als einfühlsame Märchenerzählerin bekannt, ist als Lesepatin ein „Urgestein“. Sie fährt schon über 10 Jahre einmal in der Woche aus Schliersee nach Miesbach, um dort zu helfen, wo Hilfe oft am nötigsten ist – beim Lesen. Also springen die Lesepaten ein, zu denen auch Frau von Köhlichen, Margit Müller und Herta Sägenschnitter gehören. „Ich denke, dass wir Lesepaten eine Unterstützung auch für die Eltern sind“, sagt Marianne Gmelin. Dazu helfen die Lesepaten nicht nur beim Lesen – sie helfen Kindern auch dabei, besser Deutsch zu sprechen.

 

Volle Aufmerksamkeit fürs Lesepatenkind

Damit die Kinder die Hilfe auch gut annehmen können, heißt es, so manche Hürde zu überwinden. „Die Kinder werden, nach Absprache mit den Eltern, von der Lehrkraft zu uns geschickt. Sie beurteilt, wer Hilfe bräuchte“, erzählt Mariele Kohlhauf, die selbst mehr als 40 Jahre lang an der Schule unterrichtet hat: „Wir wollen den Kindern Freude am Lesen vermitteln und ihre Lesekompetenz erweitern. Spielerische Übungen für die Steigerung der Lesefertigkeit – z.B. verpackt als Flaschenpost, als Bingo, Auszählreime und Sprachspielereien – wechseln ab mit Geschichten oder altersgemäßen Sachtexten. Dabei ist wichtig, dass die Interessen der Kinder im Mittelpunkt stehen. Die Kinder lieben es, vorgelesen zu bekommen oder selbst vorzulesen. Sie bringen ihr Weltwissen ein und erweitern es.“ Und Frau Gmelin ergänzt: „In den Klassen haben es Kinder, die nicht gut lesen, schwer. Wenn sie beim Text hängen oder etwa ein Wort falsch aussprechen, fangen die anderen an zu stöhnen. Das verunsichert die Kinder mehr als der aufmerksame Blick der Lehrkraft.“

Deshalb ist der „Privatunterricht“, bei dem die Lesepatenkinder mit der Lesepatin in einem ruhigen Zimmer sitzen, eine gute Sache. Hier dürfen sie Fehler machen, etwas nicht wissen, nachfragen…

 

Aller Anfang ist Vertrauen

Allerdings heißt es, zunächst einmal Vertrauen aufzubauen. Und da hat jede Lesepatin ihre eigenen Tricks: „Die Kinder sind oft sehr scheu und schüchtern, wenn sie zum ersten Mal kommen“, sind sich Gabriele Hesse und Gisela Strom einig. Beide haben Enkelkinder und strahlen einfach diese schwer zu definierende Oma-Qualität aus: ruhig, gelassen, liebevoll. Selbstsicher als Ergebnis eines langen Lebens voller Stürme, die sie gemeistert haben, wissen sie genau um die größte Hürde für Kinder: die Angst sich zu blamieren, etwas falsch zu machen und ausgelacht oder geschimpft zu werden. Was also ist zu tun? Welche Hilfen gibt es?

„Das ist eigentlich ganz einfach“, sagt Gisela Strom und holt einen schlaksigen Stoffesel hervor. „Ich sage den Kindern: Guck mal, das ist der Murphy, der kann gar nicht gut lesen. Er wünscht sich aber schon lange, dass ihm jemand eine Geschichte vorliest. Wollen wir mal versuchen, ob wir das zusammen können?“ Sie sagt, dass die meisten Kinder ohne Zögern auf dieses Angebot eingehen.

 

Lesepate werden

Initiiert hat das landkreisweit erfolgreiche Projekt der Kinderschutzbund. Die Leiterin, Frau Schlick, bestellte für alle Lesepaten im Landkreis den Leitfaden „Lesen fördern – Welten öffnen“.

Die Broschüre wurde in Hamburg entwickelt, wo sich z.B. die Helmut-Schmidt-Universität und die ZEIT-Stiftung mit dem Mentor.Ring e.V. zusammengetan haben – dem Netzwerk der Paten- und Mentoringprojekte für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. So ist eine 112 Seiten starke Broschüre entstanden, die kompetent und leicht verständlich Unterstützung für Lesepatinnen und Lesepaten anbietet: Hier kann man nachlesen, in welchen Stufen Kinder Lesen lernen, welche Hürden es zu meistern gibt und vor allem, wie Lesepaten effektiv helfen können.

Dafür haben Frau Kohlhauf und Frau Steinel die spielerischen Übungen daraus und weitere aus ihrem eigenen Fundus aufbereitet. Jeder Miesbacher Lesepate kann darauf zurückgreifen.

Wichtig ist also zunächst die Bereitschaft, sich mit den Stufen des Lesenlernens vertraut zu machen. Ebenso wichtig ist es, zu erkennen, woran genau es denn hapert. Hier gibt nicht nur der Leitfaden nützliche praktische Hilfen. Hier tauschen sich auch die Lesepaten untereinander aus.

 

Hinein in die weite Welt der Bücher

Dicht an dicht stehen in der Schulbibliothek Leseübungen, Bücher zum Vorlesen und Bücher zum Selberlesen nebeneinander. Die Auswahl aus dem Schatz an Büchern trifft jeder Lesepate selbst: „Mir ist am wichtigsten, dass ein Kind gerne mit mir liest. Wenn ich dann sehe, wie wir zusammen Fortschritte machen, bin ich glücklich“, sagt Gabriele Hesse.

Denn nach dem Lesen kommt das Verstehen. Und das geht am besten, wenn Kinder Texte lesen, die sie interessieren und deren Inhalt sie verstehen wollen.

Zu guter Letzt will ich wissen, ob es unter den Lesepaten auch Männer gibt, und erfahre, dass kein Mann dabei ist. Das ist schade, denn auch da sprechen die Damen aus ihrer Erfahrung: „In den vielen Trennungsfamilien fehlt oft der Vater – da wäre eine positive Vaterfigur ein Segen.“

 

Kontakt

Mariele Kohlhauf

Am Hang 1a

83714 Miesbach

Tel.: 08025 4721

 

Text und Fotos: Verena Wolf