Rudolf Wolf, © Hartmut Wolf
Rudolf Wolf mit Familie, © Hartmut Wolf

Unser ältester Mitbürger

Einen Tag vor Weihnachten feiert Miesbachs ältester Bürger seinen 102ten Geburtstag. Ein langes Leben, auf das das Geburtstagskind, bei guter geistiger und körperlicher Verfassung, zurückblicken kann.

 

Eine entbehrungsreiche Kindheit

Obwohl er nicht in Miesbach, sondern in der Pfalz das Licht der Welt erblickte, ist unser älteste Mitbürger doch ein waschechter Bayer. Denn als Rudolf Wolf am 23. Dezember 1919 auf die Welt kam, gehörte die schöne Pfalz, heute Teil des Bundeslandes Rheinland-Pfalz, noch zu Bayern!

Im ersten Nachkriegsjahr mitten hinein in eine zerrissene Zeit und in eine wenig begüterte Familie als zweitjüngstes von zehn Kindern geboren, waren die ersten Lebensjahre hart und schwierig, der Hunger ein steter Begleiter und die bitterkalten Winter voller Schrecken. Doch Rudolf, intelligent und strebsam, blühte mit der Einschulung auf. Wissbegierig las er alles, was er in die Hände bekam, und eignete sich nicht nur eine solide Allgemeinbildung, sondern auch lupenreines Hochdeutsch an – die Liebe zur Sprache ist ihm bis heute geblieben, zitiert er doch noch immer bei passender Gelegenheit glasklar Goethe, Schiller und Novalis.

Auch dass die alte Reichsstadt Annweiler mit der einst so mächtigen Burg, dem Trifels, inmitten der waldreichen und weinseligen Pfalz, eine bewegte Geschichte hinter sich hat, hat Rudolf Wolf schon als Kind interessiert. Schließlich haben es die Geschicke seiner Heimat, aber auch oft vergessene Fakten und vor allem Kuriosa der Weltgeschichte es dem alten Herrn, der heuer am 23. Dezember bei bester Gesundheit seinen 102ten Geburtstag feiert, schon immer angetan. Kein Wunder, dass er immer wieder auf die lange Zeit seines Lebens zurückblickt und sie staunend mit der Regierungszeit der salischen Kaiser vergleicht, die auch nur 101 Jahre lang im Deutschen Reich regierten (1024-1125).

 

Einmal Ostsee und zurück

Nach der Schule, man schrieb das Jahr 1935, schuftete Rudolf Wolf einige Jahre am Bau, ehe er 1940 mit einigen Freunden beschloss, die Heimat zu verlassen, und sich zur Marine meldete. Den Krieg verbrachte er ohne eine einzige Feindberührung und kehrte als einer der ersten schon im Juni 1945 zurück nach Annweiler. Dort blieb er nicht lange alleine, hatte er doch zu Weihnachten 1943 seine zukünftige Frau kennengelernt. Die tüchtige und pragmatische Erika, damals Funkerin und wie er im estnischen Reval (Tallinn) stationiert, war ein Glücksgriff. Man heiratete 1946 und Erika brachte nicht nur die beiden Kinder Jutta (1948) und Hartmut (1950) zur Welt, sondern liebte Häuslichkeit und familiäres Glück ebenso wie er. Gemeinsam entdeckten sie die Welt der Oper und Rudolf ist bis heute ein glühender Verehrer der unerreichten Maria Callas.

 

Immer wieder nach Bayern

Beruflich gelang es Rudolf, eine Anstellung in der ortansässigen Fabrik STABILA Messgeräte zu bekommen, die er bis zu seiner Pensionierung 1980 innehatte und so ein solides Fundament schuf, auf dem die Familie sich entwickeln konnte. Gut gefiel ihm auch, dass seine Frau auf die Idee kam, das Haus zu einer kleinen Pension Garni auszubauen – die vergnügten Abende mit den langjährigen Stammgästen auf der Terrasse sind ihm unvergessen. In dieser Zeit, seinen mittleren Jahren, ging Rudolf mit seiner Erika gerne auf Reisen. Ziele waren oft Paris und Burgund, wo Tochter Jutta mit ihrer Familie lebte, die wechselnden Dienstsitze seines Sohnes und neben Ungarn und der Schweiz auch die Alpenregion. Gerade den Tegernsee, Berchtesgaden und das Allgäu hat er immer geliebt.

 

Am Ball bleiben!

Was im Gespräch mit dem überaus rüstigen Rentner sofort auffällt, ist sein phänomenales Gedächtnis. Er hat die Einzelheiten der Reisen und Strecken im Kopf, sowie die Lebensdaten der großen Herrscher oder der Film- und Opernstars seiner Zeit… Den hellwachen Verstand und das blitzschnelle Kombinieren trainiert er übrigens bis heute gerne beim Kreuzworträtseln. Nicht einmal eine Brille braucht er! Nur das Hören fällt schwer und nach einem Oberschenkelhalsbruch vor 11 Jahren auch das Gehen.

So hat der vierfache Uropa streng die ganze Familie im Blick und verfolgt die Entwicklung der Urenkel, von denen demnächst zwei schon aufs Gymnasium wechseln, mit regem Interesse. Dass er selbst in seiner Kindheit und Jugend viele Chancen nicht hatte, bewegt ihn bis heute – ein Handicap, das er durch TV-Dokumentation zu allen möglichen Themen aktiv ausgleicht.

 

Etwas haben, auf das man sich freut

Zu seinen liebsten Hobbys gehört bis heute das Lottospielen. Hier hofft er unverdrossen auf einen Hauptgewinn! Besonders die Wechselfälle der Politik verfolgt er seit Jahrzehnten aufmerksam und verblüfft durch das genaue Erinnern von Ereignissen wie dem Misstrauensantrag gegen Willy Brand von 1972 oder den Einsatz von Helmut Schmid beim Hochwasser 10 Jahre vorher.

Fußball, Tennis und die Formel 1 sind seine Spezialgebiete – hier kann er sich an längst vergangene Matches erinnern und hält Alexander Zverev bei jedem Spiel die Daumen. Auch dass der junge Max Verstappen am 12.12. Weltmeister wurde, freut ihn.

 

Gibt es ein Geheimnis?

Das Geheimnis seiner unerschütterlichen Gesundheit und seines jugendlichen Gemüts ist ganz sicher dieses nie nachlassende Interesse, das er in guten Einklang mit seinem Ruhebedürfnis bringt. So ist eines seiner Lebensmottos: „Die Ruhe ist dem Menschen heilig, nur Idioten haben‘s eilig.“

Seit Anfang Dezember lebt Rudolf Wolf, der die vergangen drei Jahre bei Sohn und Schwiegertochter in Miesbach verbracht hatte, nun im AWO Seniorenzentrum Inge-Gabert-Haus, wo er es sich gemütlich gemacht hat und pünktlich die Essenszeiten einhält. „Hier schmeckt es vorzüglich“, ist sein Fazit, und auch die schicke Heimleiterin, Rosi Holzapfel, und so manche Bewohnerin gefallen ihm. Nur über eins hat er sich beim ersten Telefonat nach dem Umzug beklagt: „Hier sind ja lauter alte Leute.“

 

Text: Verena Wolf
Fotos: Hartmut Wolf

Impressionen

Stadt Miesbach, © Dietmar Denger
Stadt Miesbach

© Dietmar Denger

Stadtführungen_Drohnenaufnahme Miesbach_1920x1280
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Miesbacher Tracht_Titel_Stadtplatz
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Genussführung_Sonja_Still (2)
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