Boden der St. Quirinus Kirche Tegernsee, © Hartmut Wolf
St. Quirinus Kirche Tegernsee, © Hartmut Wolf

Tegernseer Marmor

9Hört man „Marmor“, denkt man unwillkürlich an Kunst, an Griechenland und Italien und an Meisterwerke der Antike oder der Renaissance – selten an die Kirchen in Fischhausen, Miesbach oder Tegernsee.

 

Unter unseren Füßen

Und dabei treten wir in diesen Kirchen gedankenlos auf marmorierte Steinplatten und staunen dabei höchstens, dass jede der rötlichen Platten unter unseren Füßen ein charaktervolles Einzelstück zu sein scheint. Wer einmal auf diesen Stein aufmerksam geworden ist, erkennt ihn sofort wieder: Er wirkt etwas weicher als andere Steine, hat meist eine rötliche, ins Beige spielende Farbe und irgendwie möchte man gerne über ihn hinstreicheln: Tegernseer Marmor findet sich im Landkreis in erster Linie in Kirchen oder als Material für Grabsteine, wurde aber auch für Außenanlagen verwendet, denn er war für Jahrhunderte eine kostengünstige heimische Alternative zum Marmor, den Bayern aus dem Ausland importieren musste, weil man nichts vom Schatz unter den eigenen Füßen wusste.

 

Der Klosterjäger und der Abt

Generell lässt sich Marmor gut bearbeiten und vor allem polieren, sodass sein einzigartiger Glanz ihn zu einem sehr begehrten „Schmuckstein“ macht. Obwohl unser Tegernseer „Marmor“ im petrologischen Sinn kein echter Marmor ist, kommt er diesem im Aussehen sehr nahe – eine Ähnlichkeit, die ihn berühmt machte: In seinem Beitrag „Der Tegernseer Marmor – eine Naturschönheit mit dramatischer Geschichte“ erzählt Roland Götz, wie dieses Gestein, das nur am Ringberg südlich des Tegernsees vorkommt, zu Ansehen und Bedeutung kam: „Um 1680 machte der Klosterjäger Albert Bierbichler den Tegernseer Abt Bernhard Wenzl darauf aufmerksam, dass es in den eigenen Bergen ebenso schöne Steine gebe wie man sie bisher um teures Geld aus Salzburg liefern ließ.“

Der Haupt-Fundort, eine 30 Meter hohe Wand aus Tegernseer Marmor, liegt im Nordosten des Schönet in Enterbach, einem Ortsteil des heutigen Bergsteigerdorfes Kreuth.

 

Es wird laut am Ringberg

Der Abt, offensichtlich ebenso geschäftstüchtig wie kunstsinnig, erkannte das Potenzial des Funds und ließ umgehend einen Steinbruch samt Steinmetzhütte einrichten. So gewann der schöne, seltene, erdgeschichtlich bedeutsame, aber weiche Stein über Jahrhunderte hohe wirtschaftliche Bedeutung: Er brachte den Einwohnern des nahen Schärfling – zwar mit zeitgeschichtlich bedingten Unterbrechungen –, harte, aber sichere Arbeit und damit Wohlstand in einen bis dahin wirtschaftlich unbedeutenden Teil des Tegernseer Tales. Der feine, relativ weiche Stein wurde nun vor Ort geschnitten, poliert und fortan fleißig verbaut. Kein Wunder also, dass sich gerade im ehemaligen Kloster Tegernsee viele Elemente aus dem „hauseigenen“ Marmorsteinbruch finden.

 

Marmor fürs Tegerseer Kloster

Wenn man die Halle des heutigen Gymnasiums Tegernsee betritt, fallen die auf Hochglanz polierten Säulen ins Auge, die das Gewölbe tragen. Gearbeitet sind diese Schmuckstücke aus dem schönen Tegernseer Marmor, während der Boden aus Adneter Marmor gefertigt ist. Der ist zwar ebenfalls kein echter Marmor, aber deutlich widerstandfähiger als sein Tegernseer Bruder, der den Boden der großen Tegernseer Klosterkirche St. Quirinus bildet. Ihn zu erhalten, wurde im Zuge der Restaurierung in den Jahren 1998-2004 zur Sisyphusarbeit. Stück für Stück mussten diese Platten, je nach Erhaltungstand, mühsam versiegelt oder mit Kunststein ausgebessert werden. Heute allerdings strahlt der renovierte Boden wieder in Harmonie mit den Deckenfresken von Hans Georg Asam. Diesem bedeutenden Kirchenmaler ist es vermutlich zu verdanken, dass seine Söhne Cosmas Damian und Egid Quirin den Tegernseer Marmor auch für den Bau der Münchner Asamkirche in den Jahren 1733-1746 verwendeten. In St. Qurinus liegt der Tegernseer Marmor allerdings nicht nur auf dem Boden: Die Säulen des Portals zeigen Tegernseer Marmor in seiner ganzen Pracht, ebenso wie in der Vorhalle und fünf Altären in der Kirche selbst.

 

Auf Spurensuche im Landkreis

Schnell fand der Tegernseer Marmor im ganzen Landkreis begeisterte Abnehmer: Wer sich in St. Martin in Waakirchen aufmerksam umsieht, entdeckt ein Taufbecken aus Tegernseer Marmor. In St. Leonhard in Fischhausen sind die Bodenplatten leider vom Gebrauch und vom Wischen deutlich in Mitleidenschaft gezogen, während das Weihwasserbecken und die Stufen am Hochaltar noch in schönstem Glanz strahlen. Als 1784/1785 die Miesbacher Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt neu aufgebaut wurde, hat man für die erste und für die letzte Stufe der Treppe zum Hauptportal Tegernseer Marmor gewählt. Selbst bis nach Freising verkaufte das Kloster Tegernsee seinen Marmor. Der Tegernseer Marmor setzt im Freisinger Dom und vor allem in den Münchner Schlössern Schleißheim und Nymphenburg, die damals zu den größten Bauvorhaben im kurfürstlichen Bayern gehörten, die auffallenden Akzente.

 

Augen auf in Bayerns Ruhmeshallen

Dann allerdings kam Napoleon nach Bayern und mit ihm die Auflösung aller Klöster. In dieser Zeit der sogenannten Säkularisation (1803) wurden auch die Arbeiten im Steinbruch abgebrochen, bis Bayerns erster König, Max I. Joseph im Jahr 1820 Tal und See und auch den Steinbruch in Kreuth für sich wiederentdeckte. Der Marmor erlebte einen zweiten, einen royalen Frühling und schmückt seither die Münchner Residenz, die Glyptothek, die Befreiungshalle bei Kehlheim oder die Walhalla. Auch in der NS-Zeit wurde der Tegernseer Steinbruch noch einmal aktiviert und im Haus der Kunst (München) verwendet. Seither 1954 allerdings ruht der Steinbruch.

 

Marmor oder nicht?

Schönheit hin oder her – der „Tegernseer Marmor“ ist kein echter Marmor, sondern ein roter, gelblicher, grauer oder orange-beiger Kalkstein, durchzogen von weißem Kalkspat. Wer sich für Geologie interessiert, dem sei noch gesagt, dass der Stein aus zwei Hauptkomponenten besteht: Dem farbigen Kalk und eingelagerten Kalkspatkristallen, die sich im Oberjura zusammenfanden. Der Kalk ist der ältere Bestandteil, ist er doch ein Sedimentgestein, das aus fossilen Ablagerungen im Tethys-Meer entstand, das vor 225 Millionen Jahren den halben Erdball bedeckte. Als das Meer längst verschwunden war und sich die Alpen vor 100 Millionen Jahren aufzufalten begannen, gerieten die Sedimente unter Druck, wurden aufgeworfen, zerbrochen und übereinander gelagert. In die so entstandenen Zwischenräume der Sedimentschichten lagerte sich weißer Kalkspat ein, was dem Gestein sein typisches marmoriertes Aussehen gibt. Leider holt den schönen „Tegernseer Marmor“ seine Entstehungsgeschichte heute langsam ein, denn vor allem Putzmittel, Säure und Wischwasser spülen den Kalk aus den Bodenplatten. Auf den Fotos aus Fischhausen sieht man ganz deutlich, wie der Tegernseer Marmor langsam zerbröselt.

Den Steinbruch selbst in Kreuth, eine 30 Meter hohe Wand, muss man heute schon sehr intensiv suchen, denn die Natur hat sich hier ihr Werk wieder zurückerobert.

 

Text: Verena Wolf
Fotos: Hartmut Wolf

Impressionen

Stadt Miesbach, © Dietmar Denger
Stadt Miesbach

© Dietmar Denger

Stadtführungen_Drohnenaufnahme Miesbach_1920x1280
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Miesbacher Tracht_Titel_Stadtplatz
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Genussführung_Sonja_Still (2)
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