Verena Wolf (VeW): „Herr Kaufmann, Ihnen gelingt es, in Ihren Fotos eine besondere Atmosphäre einzufangen…“
Hans-Günther Kaufman (HGK): „Hmm. Beim Begriff ´einfangen` würde ich jetzt gerne widersprechen. Es geht mir nicht darum, etwas einzufangen. Das klingt, als wäre ich auf der Jagd.“
VeW: „Sind denn nicht alle Fotografen auf der Jagd nach einem Motiv?“
HGK überlegt eine Weile, wo er anfangen soll… „Ich habe ja sehr früh großen Erfolg in der Glamour Welt gehabt. Aber schon als ich so um die 30 war, fing ich an mich zu fragen, ob das alles ist.“
Hans-Günther Kaufmann, der Bruder von Filmstar Christine Kaufmann, ist ein Starfotograf, der dieses Prädikat zu Recht trägt. Er hat sie alle porträtiert: Natalie Wood, Sophia Loren, Gina Lollobrigida, Papst Benedikt XVI., Franz Josef Strauß, Abt Odilo Lechner, Luise Kinseher oder seine eigene Schwester. Schon sehr jung war er der angesagte Fotograf der Münchner Society, dann jahrelang der Modefotograf, der unzählige Modestrecken und Cover für die renommiertesten Magazine der Welt „schoss“.
VeW: „Für viele Menschen sind doch Berühmtheit, Glanz und Reichtum äußerst erstrebenswerte Lebensziele.“
HGK: „Ich will das nicht schlecht machen. Aber ich persönlich hatte den Eindruck, dass in einem solchen Leben eine gewisse Leere bleibt.“
VeW: „Sie haben sich auf die Suche gemacht nach etwas, das Sie mehr erfüllt? Was ist dann passiert?“
HGK: „Ich traf Odilo Lechner. Er war damals schon Abt im Kloster Sankt Bonifaz und Andechs. Ich will Ihnen einen Geschichte von ihm erzählen: Ich porträtierte ihn in einer Sendung für das Bayerische Fernsehen. Der Redakteur fragte Abt Odilo: `Was bedeutet es Ihnen, wie Ihr Porträt auf Zuschauer oder Leser wirkt...?` `Nichts`, antwortete Odilo Lechner. Wichtig sei ihm nur, wie Gott ihn sehe.
VeW: „Sie sind ein spiritueller Mensch?“
HGK: „Überrascht?“
VeW: „Wie fließt das Spirituelle in Ihrer Arbeit ein?“
HGK: „Fotografieren ist für mich ein Weg, um Menschen zu sich selbst zu bringen. Deshalb geht es mir als Fotograf darum, mich von einem Bild ansprechen zu lassen – nicht darum, ein angeblich sensationelles Bild zu machen.“
VeW: „Wie wird der Betrachter einbezogen?“
HGK: „Im Grund lade ich mit meinen Bildern zu einer Achtsamkeitsübung ein.“
VeW: „Eine Achtsamkeitsübung zum Sehen und Verstehen?“
HGK: „Ja. Sehen Sie… Ich habe einmal eine Reportage über die Mönche auf dem Berg Athos gemacht. Der Abt, der ein Meister der Ikonografie ist, sagte zu mir: `Wenn ich ein Bild malen will, schließe ich die Augen... und spüre, was mich ruft...` Ich habe das später in einer Kirche selbst für mich ausprobiert. Es war wirklich so: Das Foto kam zu mir, indem es mich anzog.“
VeW: „Entstehen Ihre Bilder heute alle so?“
HGK: „Im Grunde ja. Ich denke, Bilder beginnen im Herzen.“
VeW: „Im Rahmen Ihres Abends „Lichtwandern – Sehnsucht nach Weite“ zeigen Sie einen Film `Seelenbeben`. Macht er solche Erlebnisse nachvollziehbar?“
HGK: „Ja. Absolut. Es geht in meiner ganzen Arbeit um ein Achtsamwerden… Darum, die Welt zu spüren und sich bewegen zu lassen. Es geht auch um Schönheit, die uns bewegt.“
Wir führen unser Gespräch auf dem Miesbacher Markt. Ich frage Hans-Günther Kaufmann:
VeW: „Schönheit ist ein gutes Stichwort... Sie mögen den Grünen Markt?“
HGK: „Ach, ich bin ein begeisterter Koch und finde unseren Markt so authentisch.“
VeW: „Wie fing Ihr Bezug zum Einkaufen auf dem Markt an?“
HGK: „Eigentlich mit Paul Bocuse.“
VeW: „Dem Begründer der Nouvelle Cuisine?“
HGK: „Ich sollte ihn porträtieren, rief ihn an, und wir verabredeten uns für den nächsten Tag um 5.00 Uhr. In Lyon vor meinem Hotel. Und was soll ich sagen – pünktlich um 5.00 Uhr biegt ein Citroen-Lieferwagen um die Ecke. Darin Paul Bocuse.“
VW: „Sie haben zusammen eingekauft?“
HGK: „Ja, sobald er auf dem Markt auftauchte, lag Spannung in der Luft. Alle wussten: Er kauft nur die beste Ware. Er nahm Gemüse und Früchte in die Hand, prüfte Fisch und Fleisch, oft roch er daran – er hatte auch eine beindruckende Nase – und dann wusste er: Das ist es.“
VW: „Hat er erklärt, wie er das macht?“
HGK: „Ich fragte: `Quel est le secret de la nouvelle Cuisine – was ist das Geheimnis?` Er zeigte mit einer großen Bewegung über den Markt: `Regarde – voici le secret. Das ist das Geheimnis`.“
Hans-Günther Kaufmann macht eine weite Bewegung, die den ganzen Markt, der im frühen Sonnenlicht vor uns liegt, umfasst.
HGK: „Sehen Sie, es ist so: Wir stehen auf einem Markt ja inmitten der Früchte der Erde. Dafür sollte man dankbar sein. Und eben achtsam einkaufen…“
VeW: „Eine letzte Frage: Was ist Heimat für Sie?“
HGK: „Heimat ist für mich ein Sehnsuchtsort. Dort, wo man mit allem eins wird und Zeit aufhört – zumindest eine Zeit lang.“
Text: Verena Wolf
Foto: Isabella Krobisch
