Lukas Irmler, © Marc Chase
Lukas Irmler, © Marc Chase

Grenzgänger im Höhenrausch

Zimbabwe, Peru, Kanada, Südafrika – die Liste der Länder in welchen Lukas Irmler bereits seinen Fuß auf eine Slackline gesetzt hat, liest sich wie ein einziger Reisetraum. Dabei sind es nicht die Ländergrenzen, die es für den 34-Jährigen stets zu überwinden gilt, sondern seine eigenen. Die Geschichte eines der bekanntesten Slackliner der Welt und was der Extremsport mit seiner Einstellung zum Leben macht.

Als Lukas Irmler 2006 das erste Mal im Garten seines Nachbarn einen Fuß auf die 2,5 Zentimeter breite, zwischen zwei Bäumen gespannte Leine setzte, war das für ihn nicht der Beginn seiner Karriere. Zumindest noch nicht. „Der erste Versuch war kläglich, ich bin nicht mal richtig auf die Leine raufgekommen. Ich habe dann beschlossen, dass das sicher nicht mein Sport wird. Manchmal ist die Welt schon lustig“, erzählt er lachend. Jeder, der schon einmal versucht hat auf eine Slackline zu kommen, kennt die Frustration, wenn das wackelige Ding unter einem sich regelrecht zu wehren scheint. Doch der in Freising aufgewachsene Sportler wäre nicht er selbst, wenn ihn dieses anfängliche Erlebnis von weiteren Versuchen abgehalten hätte. „Ich habe es immer wieder probiert und dann ist irgendwann das Feuer entfacht.“

 

Ein Hobby wird zur Leidenschaft

16 Jahre, ein Umzug nach Miesbach, unzählige Slacklines und atemberaubende Highline-Weltrekorde später ist Lukas Irmler aus der Szene dieser mittlerweile etablierten Nischensportart nicht mehr weg zu denken. Aus dem anfänglichen Hobby wurde schon während seiner Schulzeit bald mehr. Er wurde immer wieder als Showact gebucht, steigerte weiter seine Kompetenzen auf der Slackline. „Irgendwann habe ich gemerkt, cool, ich kann damit Leute begeistern. Da wurde mir klar, dass das nicht nur ein Hobby, sondern eine Leidenschaft ist, die mich im Leben noch weiter bringen könnte“, erinnert sich Lukas Irmler. Noch während seines Chemiestudiums kam der erste Sponsor und damit die Professionalität. Nach seinem Bachelorabschluss nahm er sich zwei Jahre Zeit und investierte alles in das Slacklinen. Mit einem Master in Wirtschaftswissenschaften im Gepäck, startete er 2010 als Athlet, Showact und Speaker in seine Selbstständigkeit.

 

Dann kam die Angst

Mit der wachsenden Sicherheit auf der, eigentlich ja bodennah gespannten Slackline, kam bald der Wunsch in ihm auf, dies auch in extremere Umgebungen zu transferieren. Seine erste Highline spannte er in fünf Metern Höhe. „Die Herausforderung ist, dass man abstürzen kann. Zwar gesichert, aber das hat auf einmal alles verändert“, erzählt er. Die ersten Versuche liefen schlecht – „ich hatte komplette Panik, wusste nicht mehr wie ich aufstehen soll auf der Line.“ Ein Gefühl, dass Lukas Irmler nicht kannte, schlich sich in seinem Kopf ein: Angst. Der Moment, in welchem viele Menschen umkehren und eine Sache nicht weiterverfolgen, war der Moment, der für den Extremsportler alles veränderte. Wie macht man mit Angst weiter? „Eine ganz wichtige Frage und die entscheidende Antwort ist: Was für eine Motivation steckt hinter dem was ich mache?“ Er wusste, er konnte auf der Line laufen und er wusste auch, dass ihm bei einem Sturz eigentlich nichts passieren konnte. „Für mich war das Ziel, über so eine lange und hohe Slackline drüber zu laufen“, sagt er. Die Motivation siegte über die Angst und der Bann war gebrochen. „Ich glaube es ist im Leben ganz oft so, wenn wir in krasse Situationen kommen, dass wir in einen „fight or flight“-Modus schalten. Aber wenn wir etwas haben, wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt, dann ist ganz klar, dass wir kämpfen.“

 

Extreme Erlebnisse

Was blieb ist eine gewisse Art von Respekt auf der Highline. Respekt davor, dass dieser Extremsport ihn potentiell auch umbringen könnte. Aber: „Das gefährlichste in allen Lebenssituationen ist Routine“, sagt Lukas Irmler. Die sollte bei seinen extremen Erlebnissen jedenfalls nicht aufkommen. Angefangen von einer Highline am Tafelberg in Kapstadt, über die höchste Highline der Welt in Peru, einer Line im Yosemite Park in den USA, bis hin zu einer Highline zwischen zwei Eisfällen in Frankreich – ein atemberaubendes Projekt jagt das nächste und immer wieder stellt der 34-Jährige damit Weltrekorde auf. Wird man süchtig nach solchen Rekorden? „Nach extremen Erlebnissen vielleicht ja. Aber am meisten süchtig bin ich nach Veränderung, Wachstum und Entwicklung. Die Rekorde sind eine Bestätigung dafür, dass das klappt. Aber wenn es kein Weltrekord ist, ist das für mich kein Beinbruch. Es geht vor allem darum, dass ich über mich selbst hinausgewachsen bin.“

 

Traum und Albtraum

Aber es gab sie auch, die Momente in denen die Angst wieder zurückkehrte. Als er mit seinem Team im August 2018 die längste Slackline der Welt im norwegischen Trömsö spannte, wagte er sich noch am selben Abend zu einem Probelauf auf die drei Kilometer lange Leine. Starker Regen und Wind trieben ihn oft 100 Meter zur Seite, doch erst bei seinem ersten Sturz in der Mitte merkte Lukas Irmler, in welcher misslichen Lage er sich befand. „Es war der absolute Albtraum und es gab keinen schnelleren Weg da runter, als zurückzulaufen – was bis zu diesem Zeitpunkt aber schon zwei Stunden gedauert hatte.“ Alles ging gut, doch er sagt selbst: „Das war dumm. Ich habe meinen Teil daraus gelernt.“ Es sind vor allem die schönen Erlebnisse, die den Miesbacher antreiben. Wie etwa die Überquerung der Victoria Falls in Simbabwe 2014. Die größten Wasserfälle der Welt im Herzen Afrikas, eine Slackline in 100 Metern Höhe und mit 100 Metern Länge. „Mit dem Canyon unter sich, in dem sich ein kreisrunder Regenbogen in der Gischt bildet. Zwischen Giraffen und Elefanten auf der einen und der Zivilisation auf der anderen Seite und dazwischen ganz viel unerschlossene Natur – das war ein Moment, der ist für immer in mein Hirn eingebrannt.“

 

Mehrere Hürden überwinden

Neue Orte für seine Projekte sucht der Sportler vor allem nach der Ästhetik aus. Oft zählt für ihn auch, was für ein Weg dorthin führt. „Je schwieriger es ist, einen Ort zu erreichen, desto interessanter wird es für mich.“ Dabei sind oft nicht die sportlichen Herausforderungen, sondern die behördlichen Genehmigungen das größte Hindernis, welches er für seine Aktionen überwinden muss. Denn schöne Orte sind weltweit in den meisten Fällen auch geschützt. Teilweise dauert es viele Jahre, bis er die Verantwortlichen von seinem Vorhaben überzeugt hat – wie etwa am Wendelstein. 2020 spannte er dort, nach sieben Jahren und zwei Anläufen, die längste Highline Deutschlands zwischen Wendelstein und Kesselwand. Die Aktion wurde von dem Filmemacher Valentin Rapp mit der Kamera begleitet und der Kurzfilm „Highline Wendelstein“ läuft exklusiv im Rahmen des Bayerischen Outdoor Filmfestivals, das am 20. Januar im Kulturzentrum Waitzinger Keller gastiert.

 

Die Balance im Leben

Der Extremsport hat Lukas Irmler vieles gelehrt, mittlerweile ist er als gefragter Speaker unterwegs, um den Menschen etwas von seinem Mindset mit auf den Weg zu geben. „Über die eigenen Grenzen hinaus gehen, einen guten Umgang mit Ängsten und Balance im Leben finden – darauf kommt es an“, sagt er. Ist er denn selbst immer in perfekter Balance? „Nein, natürlich nicht. Das ist ganz spannend, denn auch beim Slacklinen ist man nie in perfekter Balance. Auf einem Fuß stehend, in Schieflage – es ist eine dynamische Balance.“ Dabei sei die totale Ausgeglichenheit gar kein Endzustand, sagt der der Sportler. „Die Leute müssen begreifen, dass es die perfekte Balance im Leben nicht gibt, denn es geht ja immer weiter. Auf der Slackline lernt man, dass es normal ist zu Schwanken. Wichtig ist nur zu wissen, wie man die Balance für sich wieder findet.“ Als Sportler sei man 99 Prozent am Scheitern, bevor dann ein Versuch glückt. „Das ist im Leben ähnlich und da ist das Verhältnis sogar oft besser“, lacht der Miesbacher. „Fehlschläge sind nicht schlimm, solange wir daraus lernen und weiter machen.“

Der Slackliner Lukas Irmler macht auf alle Fälle weiter. Mehrere Träume hat er noch im Kopf, die es zu verwirklichen gilt. Einer könnte schon nächstes Jahr in Erfüllung gehen: Eine Slackline in den westlichen Dolomiten, zwischen den drei Zinnen spannen und diese zu begehen. Auch dort wird er wieder an seine Grenzen stoßen und er wird sie wieder überwinden. Denn das ist es, was ihn dieser Sport gelehrt hat.

 

Text: Selina Benda
Fotos: Marc Chain, Valentin Rapp

Impressionen

Lukas Irmler, © Valentin Rapp
Lukas Irmler

© Valentin Rapp

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Lukas Irmler

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Lukas Irmler, © Marc Chase
Lukas Irmler

© Marc Chase

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Lukas Irmler

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