Ansicht auf ein Grab am Miesbacher Waldfriedhof, © Selina Benda
Rasso Rauch Rücken - Security XR, © Selina Benda

Ein Mann zwischen den Welten

Leben und Tod – sie gehören zusammen, erscheinen jedoch oft wie zwei verschiedene Welten. Ein Mann der zwischen diesen Welten wandelt, ist Rasso Rauch. Der Miesbacher sieht am Wochenende die Menschen beim Feiern und begleitet unter der Woche die Toten und ihre Angehörigen auf ihrem letzten gemeinsamen Weg. Zwei Extreme, in welchen er seine Erfüllung gefunden hat.

Erzählt Rasso Rauch über sein bisheriges Leben, geben sich die Veränderungen die Klinke in die Hand. Nach seiner Maschinenbaulehre wollte er sich beruflich umorientieren, nahm eine Auszeit, machte den Surfschein am Schliersee und beschloss dann, eine Umschulung zum Automobilkaufmann anzugehen. „Ich habe aber schnell gemerkt, dass nur im Büro arbeiten, auch nichts für mich ist“, sagt der Miesbacher. Wie eigentlich immer in seinem Leben, klopfte auch dann wieder zum richtigen Zeitpunkt die nächste Veränderung per Zufall an seine Tür.
 

Wenn das Schicksal anklopft

Der Bayerische Skiverband suchte nach einem Co-Trainer für seine Nachwuchsmannschaft im Ski Cross. Rauch, der selbst passionierter Skifahrer war und im Skiclub Hausham die Jüngsten trainierte, fackelte nicht lange. Es folgten einige Jahre als Co-Trainer und Servicemann sowohl beim Bayerischen- als auch beim Deutschen Skiverband. „Und dann kamen die Österreicher“, erzählt der 40-Jährige schmunzelnd. Sie warben den Oberbayer ab, gleiche Position anderer Verband. Mit der österreichischen Ski-Cross Weltcup-Mannschaft reiste Rasso Rauch um die Welt – Kanada, Schweden, Südkorea. „Das war schon eine geile Zeit“, blickt er zurück.

Ein Leben zuhause hatte er sich zwischenzeitlich mit seiner Frau Veronika aufgebaut, die mit den gemeinsamen zwei Kindern darauf wartete, bis er wieder kam. „Da braucht man schon auch die richtige Frau dazu, die viel Verständnis für diesen Beruf hat“, sagt Rasso Rauch. 2017 entschied dann wiederum das Leben, dass es nun genug sei mit der Reiserei. In seiner Heimat bekam er eine Festanstellung bei einem Security Service. „Das war eigentlich auch nicht mein Plan, bisher hatte ich nur nebenbei immer mal wieder als Security gearbeitet.“ Schnell erhielt er jedoch immer mehr Verantwortung, legte Prüfungen und Schulungen ab, stieg zum Einsatz- und Gruppenleiter auf. Als die Firma 2019 verkauft wurde, hatte er an seinem Job einen solchen Gefallen gefunden, dass er sich nebenbei mit seiner eigenen Security Firma „XR Service“ selbstständig machte. „Ich dachte eigentlich, ich kann quasi als Alleinunterhalter für verschiedene andere Firmen arbeiten“, erinnert er sich. Doch auch hier hatte das Leben einen anderen Plan für Rasso Rauch.
 

Ein Glücksgriff rettet die Firma

Denn schnell erklärten sich einige seiner ehemaligen Kollegen bereit, bei ihm mitzuarbeiten. „Ich hatte noch nicht mal Auftraggeber, aber die haben gesagt, sie warten das ab“, sagt er stolz. Seine Frau stärkte ihm ebenfalls den Rücken, ist bis heute für die Verwaltung der Firma zuständig. Das Geschäft lief an, die Aufträge wurden mehr – und dann kam die Pandemie. „Alles wurde gestrichen, alle Aufträge fielen weg“, erzählt er. Doch seine Mitarbeiter hielten ihm die Treue und nach dem ersten überstandenen Jahr, landete Rasso Rauch einen „Glücksgriff“ wie er selbst sagt. „Wir durften zwei Kneipen und das Eishockey in Miesbach betreuen, was regelmäßige Aufträge bedeutete.“ Er konnte die Firma halten und nach zwei knappen Jahren, betreuten er und sein Team im Frühjahr 2022 eine größere Veranstaltung in Lenggries. „Das lief so gut, dass die Aufträge dieser Größenordnung in der Region immer mehr wurden“, erzählt er.
 

Der große Schockmoment

Wie sollte es auch anders sein, auch zu diesem Zeitpunkt stellt das Schicksal in Rasso Rauchs Leben wieder ein paar Schräubchen. Denn eines Tages klopfte Matthias Rauffer bei ihm an, bat um ein Gespräch. Der Geschäftsführer in dritter Generation des Bestattungsunternehmens Rauffer in Miesbach brauchte einen neuen Mitarbeiter, der ihn sowohl im Büro, als auch bei allen anderen Arbeiten unterstützen sollte. „Nach dem Gespräch habe ich zu meiner Frau gesagt, dass ich mir gut vorstellen kann, das zu machen“, erzählt er. Auch Veronika hatte „ein gutes Bauchgefühl“, wie sie selbst sagt. Gesagt, getan. Nervös, aber neugierig trat er kurz darauf seinen ersten Arbeitstag an. „Ich musste gleich eine Fahrt ins Krematorium nach Traunstein machen“, erzählt der Miesbacher.

Auf dem Rückweg dann ein Anruf seiner Kollegin, seine Frau bitte um Rückruf. „Ich war noch sauer, weil ich es eigentlich überhaupt nicht mag, bei der Arbeit gestört zu werden.“ Dann der Schock: Rasso Rauchs Mutter war gestorben. Wie in Trance fuhr er nach Miesbach zurück, begleitete seinen Chef in das Haus seiner Mutter, brachte sie ins Bestattungsinstitut, half gemeinsam mit seiner Frau bei den Vorbereitungen für die Beerdigung, fuhr sie selbst ins Krematorium. „Ich war zwei Wochen komplett auf Autopilot, habe nur funktioniert“, erinnert er sich. Nebenbei standen noch die ganzen Feste zu Pfingsten an, doch seine Mitarbeiter fingen die Arbeit komplett auf, hielten ihm den Rücken frei. „Das war schon wirklich toll, wenn es drauf ankommt, sind alle da – wie in einer Familie“, sagt das Ehepaar. Rasso Rauch konnte endlich realisieren was passiert war, den Schock verarbeiten.
 

Zwischen Leben und Tod

An diesem Punkt hätten andere wohl aufgegeben, doch nicht so der Miesbacher. „Ich habe seither nie gezweifelt, weiter in diesem Job zu arbeiten“, resümiert er nun ein Jahr später. Diese Erfahrung sei wichtig für ihn gewesen, nicht nur um mit dem Tod seiner Mutter abzuschließen. „Ich kann mitreden, völlig anders auf die Angehörigen von Verstorbenen eingehen, sie richtig begleiten.“ Die Arbeit habe ihn verändert, sagt auch seine Frau: „Zum Positiven - er ist verständnisvoller geworden, auch viel zufriedener.“ Die Security-Firma zählt mittlerweile 20 nebenberufliche Mitarbeiter – die dort ihren Ausgleich zu ihren eigentlichen Berufen finden - und ist „ein Selbstläufer geworden“, sagt der Miesbacher. Abends am Wochenende liegt der Fokus auf vielen Menschen, laute Musik, Anspannung und Konzentration. Unter der Woche dann wieder die Ruhe, die Abholung der Verstorbenen, das Ausschlagen der Särge, die Vorbereitungen auf dem Friedhof sowie für die Verabschiedungen, nur ein Mensch auf den er sich konzentrieren muss.

Es ist der Kontrast, zwischen Leben und Tod, zwischen feiernden Festbesuchern am Wochenende und der Totenstille unter der Woche, die ihn erfüllen. „Montags kann ich zur Ruhe kommen, am Donnerstag brauche ich dann wieder Radau“, lacht er. Was bleibt ist der Respekt - vor dem Leben und vor dem Tod. Denn auch wenn Rasso Rauch zwischen diesen beiden Welten ständig umherwandelt, versteht er nun mehr als je zuvor, dass sie eben zusammengehören.

Text und Fotos: Selina Benda

Impressionen

Stadt Miesbach, © Dietmar Denger
Stadt Miesbach

© Dietmar Denger

Stadtführungen_Drohnenaufnahme Miesbach_1920x1280
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Miesbacher Tracht_Titel_Stadtplatz
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Genussführung_Sonja_Still (2)
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