Truhenwagen, © Selina Benda
Paul Martin und Mladen Lepoglavec, © Selina Benda

Ein besonderes Schmuckstück

Tonnenschwer, sechseinhalb Meter lang und der ganze Stolz des Trachtenvereins – der neue Truhenwagen der Miesbacher Trachtler ist ein ganz besonderes Gefährt. Auch, weil viel Arbeit und Herzblut in ihm stecken. Die Entstehungsgeschichte eines Schmuckstücks.

Es war vor zwölf Jahren, als sich der Trachtenverein Miesbach auf die Suche nach einem neuen Truhenwagen machte. Denn als der damalige Fuhrmann Adolf Zinner verstarb, traute sich zunächst niemand mehr, den altersschwachen Kastenwagen der Miesbacher Trachtler zu lenken. Ein Ersatzwagen musste her und wurde in Form eines aus den 70er Jahre stammenden Truhenwagens auch gefunden. Doch bereits nach dem ersten abbeizen war klar, dass das Holz unter den Farbschichten schon seine besten Jahre hinter sich hatte. In der Zwischenzeit hatte sich der Weyarner Martin Schäffler bereit erklärt, die Miesbacher Schalkfrauen auf den jährlichen Leonhardifahrten in seinem Wagen zu fahren. Zudem standen einige weitere Projekte an, die zunächst Vorrang hatten: Eine Erweiterung der Trachtenhütte, eine Terrasse sowie ein Anbau und ein neuer Fluchtweg. Das Vorhaben neuer Truhenwagen geriert ins Hintertreffen.

 

Das perfekte Holz

Als Paul Martin 2019 zum zweiten Vorsitzenden des Trachtenvereins gewählt wurde, nahm er sich der Sache an. „Ich hatte schon zehn Jahre zuvor damit begonnen, bei sämtlichen Leonhardifahrten die Wägen zu fotografieren“, erzählt der Miesbacher. Diese sollten als stilistische Vorlage dienen, um den neuen Aufbau des Wagens zu gestalten, denn ein Neubau war aufgrund der vorhandenen Schäden unumgänglich. Praktischerweise ist Paul Martin seit 40 Jahren Schreiner und betreibt seit 1995 seine eigene Werkstatt in der Haidmühlstraße. Doch bevor es los gehen konnte, begab er sich erst einmal auf die Suche nach dem passenden Holz. Esche sollte es sein. „Das ist das typische Wagnerholz. Es ist widerstandsfähig, elastisch aber gleichzeitig stabil“, erklärt der 55-Jährige. Damit ist es nicht nur vor nässebedingter Fäulnis geschützt, sondern hält auch den möglichen Zusammenstößen mit den schweren Zugpferden und den Schlägen durch unebenen Boden stand.

 

700 Stunden Arbeitszeit

In einem gebogen gewachsenen Eschenstamm fand Paul Martin dann die perfekte Ausgangslage für seine Arbeiten. „Aus diesem konnten wir die oberen Rahmenteile in einem Stück herausschneiden.“ Ohne Verbindungsnarben und einer Maserung im Biegungsverlauf mache das die Eleganz der gesamten fünf Meter langen und 90 Zentimeter hohen Truhe aus. Die zwei Seitenteile sowie die Vorder- und Rückseite sind bemalt und wiegen gemeinsam schon eine halbe Tonne. Hinzu kommen die sieben Sitzbänke und vier sogenannte Loixen – diese halten die Truhe auf dem Unterbau und stabilisieren das gesamte Gefährt. Alle neuen Bestandteile musste der Schreiner mit eigens dafür erstellten Schablonen ausschneiden. Lediglich die eisenbereiften Räder sowie der Drehschemel sind noch Originalteile des alten Wagens. „Das war ein riesiger Aufwand“, erzählt Martin. Kurz nach dem Beginn der Pandemie starteten sie ihre Arbeiten und nach vier Monaten stand das neue Fuhrwerk. Insgesamt hat er mit seinem Mitarbeiter Mladen Lepoglavec rund 700 Stunden Arbeitszeit in das Projekt gesteckt. „Da braucht man jemanden erfahrenen, der mit den großen Maschinen umgehen und einem richtig zuarbeiten kann.“

 

Ein Gemeinschaftsprojekt

Neben der Formgebung der Truhe, durften erfahrene Mitglieder des Trachtenvereins auch zur Bildgebung für die Malereien auf den Seitenplatten des Wagens ihre Meinung beitragen. „Unser langjähriges Mitglied Elisabeth Kloss etwa hat bei der Gestaltung viel mitgewirkt, sie hat einfach einen Blick für sowas“, sagt Martin. Die Kirchenmalerinnen Bettina von Boch und Barbara Bammer malten dann die Bilder der ausgewählten Heiligen wie Maria und Leonhard und etwa die Magnuskapelle, welche in der Wies steht, auf die einzelnen Platten. Eine große Hilfe war auch Schlosser Johannes Zanoll, der nicht nur die kompletten Metallteile des Wagens anfertigte, sondern Paul Martin bei so mancher Herausforderung helfend zur Seite stand. Denn das Holz und Metall am Ende perfekt zusammenarbeiten, ist nicht nur für den Wagen an sich, sondern auch für die Sicherheit der Trachtenjugend – die nun in dem neuen Truhenwagen ausrücken darf – enorm wichtig. „Der Wagen ist nicht gefedert und muss bei den Leonhardifahrten in der Region auf teilweise sehr unwegsamen Geländen sicher fahren.“

 

Gigantischer Gesamteindruck

Doch die vielen Mühen haben sich gelohnt, denn das Endprodukt gefällt dem Trachtenvereinsvorsitzendem Klaus Beer, Vize-Vorstand Paul Martin und dem gesamten Trachtenverein sehr gut: „Der Gesamteindruck ist gigantisch. Der Wagen besticht durch seine Schlichtheit.“ Dass ein Trachtenverein überhaupt ein neues Fuhrwerk bekommt, sei schon eine Seltenheit, erklärt der Schreiner. „Das kommt alle hundert Jahre mal vor.“ Seine Jungfernfahrt hatte der neue Truhenwagen beim diesjährigen Trachten- und Schützenzug zum Oktoberfest. Zum ersten Mal im Oberland wird er, vom neuen Fuhrmann Florian Greinsberger gelenkt, an der Leonhardifahrt in Reichersdorf am 9. Oktober zu sehen sein. Auch bei den Fahrten in Hundham, Fischhausen und Warngau bekommen ihn alle Zuschauer zu Gesicht. Danach darf der Wagen wieder sein Quartier im Trachtenheim der Miesbacher beziehen. Denn sein besonderes Schmuckstück lässt der Verein nun nicht mehr aus den Augen.

 

Text: Selina Benda
Fotos: Selina Benda, Roswitha Huber

Impressionen

Truhenwagen auf Fahrt, © Roswitha Huber
Truhenwagen auf Fahrt

© Roswitha Huber

Truhenwagen, © Roswitha Huber
Truhenwagen

© Roswitha Huber

Truhenwagen, © Roswitha Huber
Truhenwagen

© Roswitha Huber