Buchrücken, © Inge Jooß
Inge Jooß, © Isabella Krobisch

Die Gedanken müssen frei bleiben!

Am 10. Mai 2022 jährt sich zum 89sten Mal ein, auf seine Art besonders düsterer Tag der deutschen Geschichte: Die Bücherverbrennung von 1933.

 

Die Hintergründe

Nach der Machtübernahme 1933 – am 30. Januar hatte Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt – ergriffen die Nationalsozialisten unverzüglich Maßnahmen zur systematischen geistigen Ausrichtung Deutschlands in ihrem Sinne. Dazu mussten wesentliche demokratische Grundprinzipien eingeschränkt werden. Mit der Reichstagsbrandverordnung (Februar 1933) war bereits die Presse- und Meinungsfreiheit außer Kraft gesetzt worden. Damit war der Weg frei für den nächsten Schritt, die Zerstörung von Schriften andersdenkender Menschen. Vor allem Bücher und Aufsätze jüdischer Autoren, Werke von Systemkritikern, Pazifisten, Sozialdemokraten und Kommunisten fielen der „Säuberung“ zum Opfer: Nationalsozialistische Professoren, Studenten und Angehörige anderer NS-Organe inszenierten im Lauf des Jahres 1933 im ganzen Land publikumswirksame Bücherverbrennungen, in deren Verlauf sie Bücher und andere Schriften ins Feuer warfen. Einen traurigen Höhepunkt erreichten diese Machenschaften am 10. Mai, als in Berlin und 18 anderen deutschen Hochschulstädten die Scheiterhaufen loderten.

 

Die großen deutschen Literaren

Liest man die Liste der verfemten Bücher und Autoren, wird offenbar, wie willkürlich und anscheinend auch persönlich vorgegangen wurde. Da finden sich neben Größen wie Siegmund Freud, Bertolt Brecht, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Karl Marx und Albert Einstein etwa auch die damals sehr populäre Romanautorin Vicki Baum. Auch Erich Kästner, der die Verbrennung seiner Bücher persönlich miterlebte, „durfte“ trotz der Diffamierung das Drehbuch zum Film „Münchhausen“ schreiben, der 1943 in die Kinos kam. Ansonsten fehlt auf der Liste kaum ein Name, der heute zur ganz großen deutschen Literatur zählt: Von Ernst Bloch und Alfred Döblin, von Lion Feuchtwanger und Marieluise Fleißner, von Leonhard Frank und Heinrich Heine, von Franz Kafka und Karl Kraus bis zu den Brüdern Heinrich und Klaus Mann oder Joachim Ringelnatz und Kurt Tucholsky. Nicht alle konnten, wie Lion Feuchtwanger oder Vicki Baum emigrieren und so wenigstens ihr Leben retten. Viele starben im KZ oder wurden hingerichtet, andere ins Exil gedrängt oder begingen Selbstmord. Ihre Stimme war in Deutschland nicht mehr zu hören und erst nach 1945 bekam man ihre im inneren oder äußeren Exil entstandenen Werke zu lesen. Sie prägen bis heute die Literatur der Nachkriegszeit.

 

Augenzeuge Erich Kästner

Erich Kästner (1899-1974), heute vor allem als Autor wunderschöner Kinderklassiker bekannt („Das doppelte Lottchen“, „Das fliegende Klassenzimmer“, „Pünktchen und Anton“), war einer der verfemten Autoren. In seinem Band „Bei Durchsicht meiner Bücher“ (1946) beschreibt er im Vorwort das beklemmende Erlebnis: „Und im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster-feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen. Ich war der einzige der Vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit beizuwohnen. Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. […]

In dem folgenden Jahrdutzend sah ich Bücher von mir nur die wenigen Male, die ich im Ausland war. In Kopenhagen, in Zürich, in London. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein und seine Bücher nie mehr in den Regalen und Schaufenstern der Buchläden zu sehen. In keiner Stadt des Vaterlands. Nicht einmal in der Heimatstadt. Nicht einmal zu Weihnachten, wenn die Deutschen durch die verschneiten Straßen eilen, um Geschenke zu besorgen.“

 

Interview mit Inge Jooß

Verena Wolf: „Sie haben den Anstoß zu unserer Stadtgeschichte gegeben. Warum ist es Ihnen besonders in diesem Jahr ein Anliegen, an diesen Tag zu erinnern?“

Inge Jooß: Es geht nicht um das Jahr – einer Art „Jubiläum“ würde man erst nächstes Jahr gedenken können – es geht um die bedenkliche Entwicklung der aktuellen geistigen Situation. Vermutlich haben wir zu wenig hingehört und uns behaglich im zunehmenden Wohlstandsgefüge eingerichtet. Antisemitische, fremdenfeindliche, demokratiezerstörende Ideen lebten und wuchsen nach 1945 munter weiter. Die individuellen Freiheiten, die uns der neue Staat schenkte, galten beileibe nicht allen Bürgern und Bürgerinnen – nicht den Menschen mit Behinderungen, nicht den Migranten, nicht den Andersdenkenden.

Bücher waren 1933 die ersten Objekte, die zur Zerstörung freigegeben wurden, bevor man zur Zerstörung der jüdischen Gebäude und schließlich der Menschen überging. Heute kann man mit Hasstiraden in den sozialen Medien die Menschen viel direkter vernichten. Die Erinnerung an die Bücherverbrennung ist eine Erinnerung an das, was jeden Tag in unserer Gesellschaft passiert – der Angriff auf die Menschenrechte.

Verena Wolf: „Welche Bedeutung haben Bücher in Ihrem Leben?“

Inge Jooß: Es gibt so viele schöne Äußerungen über die Bedeutung von Büchern im persönlichen Leben – da kann ich gar nicht mithalten. Sie sind vermutlich die einzigen Gegenstände, von denen ich mich am Ende meines Lebens mit großer Wehmut verabschieden werde. Sie waren meine Begleiter seit meiner Kindheit (in den Nachkriegsjahren meist vererbt und ungeheuer wertvoll), Arbeitsmaterial, Fluchthelfer, verantwortlich für Tränen der Freude und großer Trauer, unbewusste Erzieher, Anlass für Zukunftsträume und Auslöser von tiefsten Erschütterungen, die nie vergingen. Ganz abgesehen von dem wunderbaren Gefühl, ein sorgfältig gemachtes Buch in der Hand zu halten, zu blättern, zu riechen, zu genießen… Mein Mann hat viele Bücher geschrieben – Wunderwerke, wenn sie fertig vorlagen. Ich muss gestehen, dass ich in fremden Wohnungen verstohlen herumschaue, wo die Bücher stehen...Und an einem Bücherflohmarkt kann ich nicht so einfach vorübergehen.

Verena Wolf: „Welche Emotionen und Gedanken beschäftigen Sie, wenn Sie an daran denken, dass in Deutschland gerade die Studenten und andere junge Menschen sich – sei es auf Befehl oder freiwillig – an Büchern vergriffen haben?“

Inge Jooß: Wir sind alle verführbar – auch das ist etwas, was wir gerade intensiv erleben. Man kann uns in ein Gefüge von Emotionen, Ideen, Fantasien einwickeln, so dass wir Fakten, moralische Grundsätze und erlernte Werte einfach verdrängen. Natürlich denke ich, dass Bildung vor Fanatismus und Aggressivität schützen müsste – aber rationales Wissen und Denken genügen nicht. Die „Bildung des Herzens“ muss dazukommen. Sie kann im religiösen Glauben, in der Familie, dem Erleben von Liebe und Natur wurzeln. Vor den großartigen Menschen, die zu allen Zeiten Widerstand leisteten und sich zu ihrer Menschlichkeit bekannten, dürfen wir uns verneigen.

Verena Wolf: „Auch in München wurden öffentlich Bücher verbrannt: Schon am 6. Mai 1933 hatte die Hitler-Jugend den Auftrag ihrer Führung befolgt und „eine Verbrennung aller marxistischer, pazifistischer Schriften und Bücher“ durchgeführt. Die Bücherverbrennung auf dem Königsplatz – am 10. Mai 1933 inszeniert von der deutschen Studentenschaft – verfolgten 50.000 Schaulustige... Gab es in Miesbach etwas Vergleichbares?“

Inge Jooß: Frau Barbara Wank, unsere Stadtarchivarin, hat in den Unterlagen nachgesehen und herausgefunden, dass im Miesbacher Anzeiger schon am 12. Mai 1933 ein großer Artikel mit Bild zur Bücherverbrennung in München erschienen ist. In der Folgezeit mussten dann Leihbüchereien oder die Pfarrbüchereien beider Kirchen, die Schulbücherei der Realschule wie auch die Krankenhausbücherei Listen der Bücher anfertigen, die sie im Bestand hatten. Im Laufe der Jahre wurde dann zunehmend kontrolliert, ob "nationalsozialistische" Bücher existierten. Es wurden auch entsprechende Vorschläge gemacht, was noch anzuschaffen sei. Aber explizit Aktionen gegen Bücher haben in Miesbach wohl nicht stattgefunden.

Verena Wolf: „Warum sind Gedanken- und Meinungsfreiheit gerade in der heutigen Zeit so wichtig? „Sehen Sie Ansätze zu einer gefährlichen Entwicklung?“

Inge Jooß: Ich glaube nicht, dass sie heute wichtiger sind als zu anderen Zeiten, vielleicht empfinden wir das so, weil wir jeden Tag konfrontiert werden mit Meldungen über ihre Gefährdung. Die globalen Kommunikationswege lassen uns nicht zur Ruhe kommen; ein gutes Beispiel dafür sind die Berichte von Amnesty International. Es gibt kein Land auf der Welt, in dem nicht jeden Tag Menschen ihrer gedanklichen (und physischen) Freiheit beraubt werden. Was mich ein bisschen optimistisch stimmt: Es wachsen erstaunlich viele mutige Personen und neue Gruppen heran, die sich dagegen wehren, nicht schweigen, sondern – oft unter Lebensgefahr – handeln.

Gefährdet ist unsere Demokratie immer – das ist ihrem System immanent. Wer Freiheit zulässt, riskiert, dass sich jemand die Freiheit nimmt, sie zu missbrauchen. Wir sollten uns nicht in Klagen ergehen, dass alles immer schlimmer wird, sondern uns und unsere Kinder und Enkel daran erinnern, was wir alles tun dürfen und können, um unsere Freiheit zu schützen. Meine Generation hat Jahrzehnte erlebt, in denen die Freiheitsräume kontinuierlich wuchsen – ich will das nicht verlieren.

 

Text: Inge Jooß, Verena Wolf; Barbara Wank
Fotos: Stadtarchiv, Isabella Krobisch

Impressionen

Buchrücken, © Inge Jooß
Buchrücken

© Inge Jooß

Lesung in der Frauenschule Miesbach um 1939, © Stadtarchiv Miesbach
Lesung in der Frauenschule Miesbach um 1939

© Stadtarchiv Miesbach

Artikel im Miesbacher Anzeiger vom 12.05.1933, © Stadtarchiv Miesbach
Artikel im Miesbacher Anzeiger vom 12.05.1933

© Stadtarchiv Miesbach

Marsch zur Machtergreifung am Stadtplatz am 5.2.1933, © Stadtarchiv Miesbach
Marsch zur Machtergreifung am Stadtplatz am 5.2.1933

© Stadtarchiv Miesbach