Ein Trachtenverein beim Festzug zum Oktoberfest, © Fotostudio Liebhart
Porträt von Karl Wiedemann bei Ihm Zuhause, © Selina Benda

Der Mann der Tracht

Ein Leben für die Tradition und Tracht – Karl Wiedemann hat sich vor vielen Jahrzehnten diesem verschrieben. Damit hat er nicht nur das regionale Geschehen, sondern auch eine Tradition in der Landeshauptstadt München geprägt. Seit 27 Jahren trägt der Trachten- und Schützenzug zum Oktoberfest Karl Wiedemanns Handschrift.
 

Seit 1948 findet der traditionelle Trachten- und Schützenzug zum Oktoberfest am ersten Wiesnsonntag statt. Organisiert wird er vom Verein „Festring München“, der auch den Einzug der Festwirte und Brauereien am ersten Wiesntag sowie die „Oide Wiesn“ plant. Doch welche Trachtenvereine, historischen Trachtengruppen, Musikkapellen und Spielmannszüge sowie Fahnenschwinger bei dem live im Fernsehen übertragenen Festzug mitgehen dürfen, das bestimmt der Miesbacher Karl Wiedemann. „Ich bringe da halt eine gewisse Erfahrung mit“, sagt er schmunzelnd und untertreibt damit ein wenig. Denn als Gründungs- und mittlerweile Ehrenvorsitzender, hat er die Alt-Schlierseer-Trachtengruppe mit aufgezogen und den ebenfalls über die Landesgrenzen hinaus bekannten Alt-Schlierseer-Kirchtag maßgeblich mitgeprägt. Bis 2018 war der ehemalige Schlierseer zudem 30 Jahre lang Vorsitzender der Vereinigung Historischer Trachten von Altbayern und ist seit vielen Jahren Präsidiumsmitglied des Münchner Festrings. Er ist ein Trachtenexperte, diesen Titel muss man dem 82-Jährigen neidlos anerkennen.
 

9000 Mitwirkende auf sieben Kilometern

Diese Expertise machte ihn vor 27 Jahren eben zum besten Kandidaten, wenn es um die Auswahl der Gruppen für den Zug zur Wiesn geht. 9000 Mitwirkende aus 180 Vereinen und 60 Musikkapellen sowie 300 Pferde waren am 19. September dabei. Sieben Kilometer lang ist die Strecke vom Max-II-Denkmal an der Isar bis auf die Theresienwiese. Zwei Stunden braucht der gesamte Zug ohne Störungen meistens für diese Strecke zu Fuß. In diesem Jahr meinte es Petrus nicht gut mit den Trachtlern und ließ sie bei eisigen Temperaturen und Dauerregen antreten. „Das ist das Schlimmste was passieren kann“, erklärt Karl Wiedemann. Zwar waren auch in diesem Jahr die Straßen gesäumt mit vielen Zuschauern, aber „da kommt einfach keine Stimmung auf, wenn alle unter ihren Regenschirmen frieren“, resümiert er. Zufrieden ist er dennoch mit seiner Auswahl an Gruppen und Vereinen, die mit ihren teilweise außergewöhnlichen Trachten für Begeisterung beim Publikum sorgen.
 

Die richtige Auswahl

Die bis zu 250 Bewerbungen beginnen auch schon jetzt wieder im Festbüro des Vereins einzutrudeln. Denn die Gruppierungen müssen sich um einen Platz im beliebten Zug jedes Jahr aufs Neue bemühen. Ende Januar ist Anmeldeschluss, im März steht die Planung fest. „Eine Garantie gibt´s nie“, sagt der Miesbacher. Alle Wünsche erfüllen, geht bei so vielen Gruppen einfach nicht. Karl Wiedemann geht dann nach dem Drei-Stapel-Prinzip vor: Ja, Nein, Vielleicht. „Manche sind gleich raus, andere wiederum gehen fast jedes Jahr mit, die kennt man schon“, erklärt der 82-Jährige. Immer wieder sichtet er die beigefügten Bilder der Trachten, legt Bewerbungen vom Vielleicht- auf den Ja-Stapel und umgekehrt. Mitgehen darf nur, wer „echte, saubere Tracht“ anhat. Dabei ist es völlig egal, woher die Vereine kommen. Neben Bayern sind auch einige Gruppierungen aus ganz Deutschland sowie Österreich, Italien, Südtirol, Schweiz und wie in diesem Jahr sogar aus den USA dabei. „Das waren 300 Amerikaner mit deutschen Wurzeln, alle in perfekter Miesbacher Tracht. Wenn die nicht gesprochen haben, hat man nicht gemerkt woher sie sind“, erzählt er schmunzelnd. Auch deutsche Vereine, mit Wurzeln in der Ukraine, Polen und Kroatien, welche die landestypische Tracht präsentierten, zogen in diesem Jahr mit auf die Wiesn ein.
 

Ein strenges Auge

Früher ist auch Karl Wiedemann noch mitmarschiert, heute sitzt er auf einer der Tribünen am Straßenrand und nimmt die Teilnehmer ganz genau unter die Lupe. Das Programmheft, in welchem jede Gruppierung des Zugs einzeln vorgestellt wird, zieren kleine Sternchen, Plus- und Minuszeichen und kurze Notizen, wie etwa „keine Hüte“, „greislige Wagenräder“ oder „Uhr und Stöckelschuhe“. Dem strengen Blick des 82-Jährigen entgeht kein noch so winziges Detail. „Da erhalten die Vereine dann im Nachgang schon auch mal eine Rüge von mir“, gibt er zu. Seine Notizen sind für die Planung des Folgejahres wieder Bewertungskriterium. In diesem Jahr musste er nur vier Minuszeichen vergeben, ein guter Schnitt bei so vielen Teilnehmern. Ein absolutes No-Go hat er aber: „Landhaustrachten – das finde ich persönlich nicht so schön“, betont er. Karl Wiedemanns persönliches Highlight der vergangenen Jahre war übrigens keine bayerische Trachtengruppe, sondern die Teilnahme des Vereins zur Darstellung des Dresdner Fürstenzugs im Jahr 2016. Die Mitglieder tragen die detailgetreu nachempfundenen Trachten der Könige, Kurfürsten, Markgrafen, Spielleute und Bannerträger und rücken mit 38 Pferden und Rittern in echten Rüstungen samt Gefolge aus. „Das ist einfach wunderschön zum Anschauen“, schwärmt der Miesbacher. Aber natürlich gäbe es auch sehr schöne, traditionelle bayerische Trachten, die ihm gefallen.  
 

Tradition von Herzen

Erst im vergangenen Jahr wurde er vom Festring München wiedergewählt, den Trachten- und Schützenzug für vier weitere Male zusammen zu stellen. „So lange es meine Gesundheit mitmacht, mache ich damit auch weiter“, antwortet er auf die Frage, ob er denn mal ans Aufhören gedacht hat. Langweilig wird dem vierfachen Großvater aber generell eher wenig. Als Maler ist er ebenso bekannt wie als Volkssänger. Fast 40 Jahre lang trat er mit dem bekannten Schlierseer Viergesang auf. Seit zwölf Jahren organisiert er zudem das große Adventssingen des Münchner Festrings im alten Rathaus, im Löwenbräu Keller und im Bauerntheater Schliersee. Dafür schreibt er auch die begleitenden Texte und Hirtenspiele selbst. Tradition und Tracht erhalten und bewahren – das ist dem Miesbacher Karl Wiedemann eben eine Herzensangelegenheit.

                                                                                                
Text: Selina Benda
Fotos: Selina Benda und Fotostudio Liebhart

Impressionen

Eine Trachtengruppe des Festzugs zum Oktoberfest, © Fotostudio Liebhart
Festzug zum Oktoberfest

© Fotostudio Liebhart

Trachtengruppe des Festzugs zum Oktoberfest, © Fotostudio Liebhart
Festzug zum Oktoberfest 2

© Fotostudio Liebhart

Eine Dame in Tracht winkt, © Fotostudio Liebhart
Oktoberfest Festzug - winkende Dame

© Fotostudio Liebhart