Portiunkulakirche, © Kulturamt Miesbach
Barbara Gerbl, © Hartmut Wolf

Der heilige Franziskus und die Portiunkulakirche

In Miesbach hat die Portiunkulakirche schon immer eine besondere Rolle gespielt. Jetzt lädt eine ungewöhnliche Kunst-Aktion ein, im kleinen, aber feinen Gotteshaus Neues zu entdecken.

 

Mit der Sonne fängt alles an

„Am schwierigsten war für mich, den Einstieg ins erste Bild zu finden“, erzählt Barbara Gerbl. „Bei allen anderen Bildern hatte ich sofort eine Vorstellung.“ Die junge Miesbacher Künstlerin gestaltet einen Bilderzyklus, der bis November durch immer neue Motive ergänzt wird, bis das große Werk vollendet ist: der Sonnengesang des Heiligen Franziskus in Bildern. Das erste Gemälde ist bereits in der Portiunkulakirche aufgehängt und lädt zur Meditation über das Gestirn ein, das unser Leben auf Erden durch seine Wärme und Energie überhaupt erst ermöglicht. In seinem Hymnus an die Schöpfung hat Franziskus über die Sonne gedichtet:

„Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen,
besonders dem Herrn Bruder Sonne,
der uns den Tag schenkt und durch den du uns leuchtest.
Und schön ist er und strahlend in großem Glanz:
von dir, Höchster, ein Sinnbild.“

 

Ein Gesang nimmt Gestalt an

„Es sind acht Gesichter der Schöpfung – Bruder Sonne, Schwester Mond und die Sterne, Bruder Wind, Schwester Wasser, Bruder Feuer, Schwester Mutter Erde, das Verzeihen und der Tod – in denen der Heilige Franziskus Gott preist“, erklärt Barbara Gerbl, für die das Projekt ein ganz besonderer Auftrag ist. „Ich habe den Sonnengesang schon als Kind geliebt. Dieser innige und zugleich kraftvolle Dank an Gott für die Schöpfung und ihre Wunder hat mich irgendwie immer begleitet. Und immer, wenn im Gottesdienst das Lied „Laudato si“ erklingt, wird mir feierlich zumute.“ Das Lied mit dem berühmten Kehrvers „Laudato si, o mi Signore“ ist tatsächlich eine Anlehnung an den Sonnengesang des Franz von Assisi: „Gelobt seist du, oh mein Herr“, singen die evangelischen wie die katholischen Gemeinden seit 1910 und dazu die 9 Strophen, die sich assoziativ ans Original aus dem Jahr 1226 anlehnen.

 

Von Assisi nach Miesbach

Der Sonnengesang ist das letzte Geschenk von Franz von Assisi an die Menschheit, vollendet im Jahr seines Todes. Und es hat einen ganz besonderen Bezug zu Miesbach: Am 3. Oktober 1226 starb der Heilige Franziskus dort, wo er den Orden der Franziskaner gegründet hatte – in einer kleinen Kapelle außerhalb von Assisi. Sie trug den Namen Portiunkula, was „kleines Stückchen Land“ bedeutet. Nach dieser Ur-Kapelle wurde die Kirche benannt, die seit 1658 über Miesbach zu wachen scheint. Ungewöhnlich wie ihr achteckiger Gebetsraum, über dem in schwindelnder Höhe ein zweigeschossiger Arkadenumgang liegt, und überraschend wie der gemalte Sternenhimmel in der Kirche ist die Bedeutung der Kirche für die Miesbacher: Beim Stadtbrand 1783 blieb die Portiunkula verschont und gab den Menschen Schutz und Trost. Und als sie 1809 abgerissen werden sollte, sammelte die Marktgemeinde genug Geld, um sie zu erhalten. Sie wurde dann mehrmals umgebaut und renoviert, bis sie 1993 die Gestaltung erhielt, in der sie heute erstrahlt. Am Rand des schönen Klostergeländes gelegen, ist die Portiunkula ein beliebter Ort für stille Gebete, aber auch fürs Frühjahrssingen oder die getanzte Maiandacht…

 

Eine großartige Aktion

Zu denen, die die enge Beziehung zwischen der Kirche und den Miesbachern kennen, gehört Inge Jooß, die im Auftrag des Pfarrgemeinderats für die Betreuung der Portiunkula zuständig ist. Auf der Suche nach neuen Impulsen, die gerade jetzt die einzigartige Atmosphäre der Portiunkula mit einer sinnerfüllten Kunstaktion zu neuem Leben erwecken könnte, wandte sich Inge Jooß an Barbara Gerbl. Und die musste nicht lange nachdenken.

„Gleich als ich mit Inge Jooß sprach und sie mir das erste Material gab, wusste ich, dass ich den Sonnengesang von Franz Assisi malen wollte“, sagt Barbara Gerbl. „Nachdem ich die Sonne fertig hatte, habe ich alle anderen Bilder wie in einem Rausch gemalt – drei Tage war ich praktisch Tag und Nacht in meinem Atelier. Die Bilder kamen mit ungeheuer Wucht.“ Nicht leicht für die vierfache Mutter in der Coronazeit! Ich darf alle Bilder des Zyklus schon sehen und bin tief bewegt. Nur so viel sei verraten: In jedem Gemälde steckt eine ungeheure Energie und sie alle öffnen innere Tore zur Schöpfung. Verfolgen also auch Sie diese Aktion, die man jeden Sonntag zwischen 10:00 Uhr und 17:00 Uhr erleben kann. Die Bilder werden im Altarraum nach und nach aufgehängt.

 

Zum Mitmachen

Der folgende Text des Sonnengebets hält sich sprachlich eng ans Original des Hl. Franziskus, der den Hymnus in Umbrisch verfasst hat. Es heißt also „Bruder Sonne“ und „Schwester Mond“, weil im Italienischen die Sonne männlich ist (il sole) und der Mond weiblich (la luna).

Laudato sie, mi’ signore,

Höchster, allmächtiger, guter Herr,
dein ist das Lob, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen.
Dir allein, Höchster, gebühren sie
und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.


Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen,
besonders dem Herrn Bruder Sonne,
der uns den Tag schenkt und durch den du uns leuchtest.
Und schön ist er und strahlend in großem Glanz:
von dir, Höchster, ein Sinnbild.

Gelobt seist du, mein Herr, für Schwester Mond und die Sterne.
Am Himmel hast du sie geformt, klar und kostbar und schön.

Gelobt seist du, mein Herr, für Bruder Wind,
für Luft und Wolken und heiteres und jegliches Wetter,
durch das du deine Geschöpfe am Leben erhältst.

 

Gelobt seist du, mein Herr, für Schwester Wasser.
Sehr nützlich ist sie und demütig und kostbar und keusch.

Gelobt seist du, mein Herr, für Bruder Feuer,
durch den du die Nacht erhellst.
Und schön ist er und fröhlich und kraftvoll und stark.

Gelobt seist du, mein Herr, für unsere Schwester Mutter Erde,
die uns erhält und lenkt
und vielfältige Früchte hervorbringt, mit bunten Blumen und Kräutern.

Gelobt seist du, mein Herr, für jene, die verzeihen, um deiner Liebe willen
und Krankheit ertragen und Not.
Selig, die ausharren in Frieden,
denn du, Höchster, wirst sie einst krönen.

 

Gelobt seist du, mein Herr, für unsere Schwester, den leiblichen Tod;
kein lebender Mensch kann ihm entrinnen.
Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben.
Selig, die er finden wird in deinem heiligsten Willen,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.

Lobt und preist meinen Herrn
und dankt und dient ihm mit großer Demut.

 

Zum Weiterlesen

Die Portiunkula: Langheiter, Alexander: „900 Jahre Miesbach – Chronik & Kulturführer“, Maurus Verlag Miesbach 2013, Seite 187 ff.

 

Text: Verena Wolf
Bilder: Hartmut Wolf, Harry Gerbl, Kulturamt Miesbach

Impressionen

Stadt Miesbach, © Dietmar Denger
Stadt Miesbach

© Dietmar Denger

Stadtführungen_Drohnenaufnahme Miesbach_1920x1280
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Miesbacher Tracht_Titel_Stadtplatz
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Genussführung_Sonja_Still (2)
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