Ransberger Haberfeldtreiben 1893, © Stadtarchiv Miesbach
Buchcover, © Volk Verlag

Den Haberern auf der Spur

Die aktuelle Ausstellung im Waitzinger Keller hat einen Nerv getroffen: Viele Besucher setzen sich täglich intensiv mit den Exponaten und den Informationen auseinander, die das Kulturzentrum rund ums Haberfeldtreiben zusammengetragen hat.

 

Experte lüftet Geheimnisse ums Haberfeldtreiben

Doch noch längst sind nicht alle Geheimnisse und Mythen, die sich ums Haberfeldtreiben ranken, erhellt. Einer, der es wissen muss, ist der Jurist Dr. Elmar Schieder. Seine Grundlagenforschung aus dem Jahr 1982 war wissenschaftliche Grundlage für die Ausstellung. Nun hat er neues Material zusammengetragen. Für sein Buch „Als wär` die Höll` ausgelassen“, das jetzt im Frühjahr erscheint, hat er viele Jahre recherchiert.

Verena Wolf (Vwo): „Herr Dr. Schieder wie unterscheidet sich Ihr neues Buch, das jetzt im Volk Verlag erscheint, von Ihrer Dissertation?“

Dr. Elmar Schieder (ESch): „Die Arbeit, die ich 1982 an der Universität Freiburg eingereicht habe, musste strengsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügen und beruhte ausschließlich auf belegbaren Fakten. Das neue Buch hat einen anderen Ansatz: Ich habe versucht, eine bestimmte Anzahl von Haberfeld-Treiben möglichst exakt zu rekonstruieren. Dazu habe ich nicht nur Original-Akten aus der Zeit der Haberfeldtreiben eingesehen und ausgewertet, sondern auch andere Quellen hinzugezogen.“

Vwo: „Heißt das, dass Sie im neuen Buch vor allem versuchen, die Haberfeldtreiben so nah und authentisch wie möglich zu beschreiben?“

ESch: „Ja, exakt. Nehmen wir einmal das letzte Haberfeldtreiben in Miesbach von 1893. Ich habe die Aussage des Gendarmen gefunden, der damals angeschossen wurde. Aber ich erzähle auch das Schicksal des Haberers, der verletzt wurde. Georg Stöger-Ostin hat davon berichtet und so konnte ich das Geschehen bis zur Verurteilung nachvollziehen. Mir ist im neuen Buch wichtig, möglichst viele Facetten des alten Brauchs zu beleuchten und damit dem in Wahrheit sehr vielschichtigen Geschehen ein Stück näher zu kommen.“

Vwo: „Gibt es denn völlig neue Erkenntnisse zu den Treiben?“

ESch: „Ja, ich habe z.B. herausgefunden, dass bei einigen Treiben ab 1890 von der Teilnahme von Kindern und Frauen berichtet wird, die man aufgrund der hohen Stimmen und der Abdrücke von kleinen Schuhen „erkannte“.

Vwo: „Man darf also auf neue Aspekte gespannt sein?“

ESch: „Im neuen Buch schreibe ich z.B. auch über die Haberer von Puerto Alegre in Brasilien – einem Verein, der von Bayern gegründet worden war, die dorthin ausgewandert sind. Außerdem ist für mich noch ein wichtiger Aspekt des neuen Buches, dass ich die Entwicklung nach 1852 berücksichtigen konnte. Und: Diesmal konnte ich mir erlauben, auch eigene Rückschlüsse zu ziehen.“

Vwo: „Herr Dr. Schieder, wie sind Sie als Jurist ursprünglich auf das Phänomen „Haberfeldtreiben“ aufmerksam geworden und was fasziniert Sie an diesem Thema?“

ESch: „Schon 1982 habe ich an der Uni Freiburg meine Dissertation zum Haberfeldtreiben als rechtsgeschichtliche Studie abgeliefert. Auf das Thema kam ich nach der Lektüre von Georg Queri’s „Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern.“ Ein Heimatforscher und Schriftsteller aus Bad Aibling hat ziemlich am Anfang meiner Studien zu mir gesagt: „Im Haberfeldtreiben spiegelt sich wie in keinem anderen Brauch die altbayrische Volksseele.“

Vwo: „Und Sie haben herausgefunden, dass er recht hatte?“

ESch: „Ja, im Laufe der Jahre hat sich bei mir die Meinung gefestigt, dass an diesem Satz etwas Wahres dran ist. Denken Sie nur einmal an die Lust am Spott. Die bissige Pointe ist bayerntypisch, ob bei den Aschermittwochreden der Politiker oder beim Starkbieranstich, ist sie heute präsent und zeigt sich auch in manch anderen Bräuchen. Oder denken Sie an die Schnaderhüpfel. Auch die Freude am Krawall, am Lärmen, die etwas Anarchisches an sich hat, ist ebenfalls volkstypisch, auch das „jetzt extra“ nach der Exkommunikation durch den Erzbischof oder nach der „Kampfansage“ durch die Behörden. Denken Sie nur an den Bezirksamtmann Rietzler…

Vwo: „Wie würden Sie nach Ihren jahrelangen Studien ein Haberfeldtreiben definieren“?

ESch: „Das muss man wohl für jede Periode etwas anders definieren. So ist auch mein Buch nach Perioden aufgebaut. Ursprünglich, also im 18. Jahrhundert war das Haberfeldtreiben ein Lärmaufzug, den Burschen bei bestimmten sexuellen „Verfehlungen“ abhielten. Die Burschen selbst beschrieben es 1716 als „Possen, durch die niemals niemand projudiziert“ wurde, (also niemand zu Schaden kam) und 1766 als „für junge Burschen ausersehene Lustbarkeit“. Lustbarkeit könnte man als „Gaudi“ in die heutige Sprache übersetzen. Es war also eine nächtliche Belustigung oder Gaudi.
Als ernsthafte und strenge sittliche Rüge mutierte es nach meiner These, als sich 1826 ein Geistlicher des Haberfeldtreibens bediente, um die Sittlichkeit auf dem Lande zu heben.
Aber schon ab 1834 wurde es unter dem „Deckmantel“ des Sittengerichts wieder vorwiegend Lustbarkeit und blieb es seinem Charakter nach bis zum Schluss.“

Vwo: „Aus sozial- und wirtschaftspolitischen Gründen gab es in Bayern ja viele uneheliche Kinder. Warum wurden von den Haberern nur bestimmte Frauen aufs Korn genommen?“

ESch: „Die Frage lässt sich nicht mit Bestimmtheit beantworten. Sicher wurde nicht jeder ledigen Mutter getrieben, es musste noch etwas dazukommen. In alten Aussagen ist die Rede von besonders „stolzen“ oder „hoffärtigen“ Mädchen, denen getrieben wurde.
Ich vermute, ein Treibgrund war, wenn ein schwangeres Mädchen von ihrem Liebhaber sitzen gelassen wurde oder wenn sie den Kindsvater nicht heiraten wollte. Sicher spielte der soziale Status eine Rolle: Bauerntöchter wurden öfter getrieben als Stallmägden, es sei denn, letzte hatten mehrere Kinder von verschiedenen Vätern oder ein offenes Verhältnis mit dem verheirateten Bauern.“

Vwo: „Stimmt es denn, dass der „Verführer“ beim Haberfeldtreiben mitmachen musste?“

ESch: „Es gab keine Regel, dass der Verführer mitmachen musste. Es gab aber Fälle, wo der Verführer seine Vaterschaft abschwor und dem Mädchen den Umgang mit anderen Männern in einem Haberfeldtreiben vorhielt – oder es vielleicht sogar initiierte!

Vwo: „Was ich auch noch nicht wusste, ist, dass die Haberer zwar keines ihrer Opfer verletzen, aber dass es Fälle von Erpressung gab.“

ESch: „Ja, man hat Leute damit erpresst, dass man gegen sie treiben würde, wenn sie nicht bezahlten oder andere Dinge für einzelne Haberer taten, dass man ganze Haberfeldtreiben kaufen konnte oder gegen Bezahlung auch wieder von der Habererliste verschwinden konnte.

Vwo: „Der Brauch war also eher kein Volksgericht?“

ESch: „Als „Volksgericht“ würde ich den Brauch nur sehr eingeschränkt bezeichnen, denn Hauptsache war die Gaudi und nicht eine Anklage, die man allzu oft einfach erfand, um an einem bestimmten Ort in Erscheinung zu treten. Es gab keine Urteile und keine Exekution.“

Vwo: „Hatten die Haberer im 19. Jahrhundert ausschließlich Angehörige der besseren Schichten im Visier – dazu zählen auch die Bauern – oder gab es auch Anklagen gegen Knechte?“

ESch: „Es gab mit Sicherheit keine soziale Auswahl bei den Treibopfern, getrieben wurde jeder, der es nach Meinung der Haberer verdient hatte und dazu reichte oft ein Gerücht. Bis 1826 waren es fast ausschließlich ledige Frauen, ab 1840 ist zu beobachten, dass die halbe Dorfbewohnerschaft drankam. Klar, dass die in der Öffentlichkeit präsenten „Honoratioren“ öfter dem Spott ausgesetzt waren, als die breite Masse der dörflichen Bevölkerung.“

Vwo: Einzelne Haberermeister haben ja offensichtlich mit dem Verfassen von Versen gutes Geld verdient. Wer waren die Rezipienten?

ESch: „Es war eigentlich nur der Daxer von Wall, der als Haberfeldmeister die gedruckten Verse in seiner Wirtschaft verkauft hat, vorwiegend an Jugendliche. Auch einige seiner Freunde und sein Bruder Josef haben damit gehandelt, es waren pornographische Schriften, zum Teil vom wirklich kranken Gehirn des Daxers ersonnen.“

Vwo: „Wie ist es zu erklären, dass zum Miesbacher Haberfeldtreiben vom 7. auf den 8. Oktober 1893 um die 300 Personen zusammenkamen?“

ESch: „1893 weiß man von elf Führern: 2 kamen aus dem Ebersberger, einer aus dem Wasserburger Bezirk und einer aus Tölz. Die übrigen waren aus der Gegend um Miesbach (5) bzw. Tegernsee (2). Wenn jeder dieser Führer etwa 30 Mann zusammenrufen konnte, waren schon 300 Leute beisammen. Tatsächlich fand in der gleichen Nacht ein zweites Treiben in Emmering mit etwa 100 Beteiligten statt. Der Haberermeister Bacher nennt einmal die Zahl von etwa 2.000 Mitgliedern im Habererbund.

Vwo: „Man vergleicht das Haberfeldtreiben ja auch mit einem modernen Shitstorm – was denken Sie darüber?“

ESch: „Die Erscheinungsform der Pasquille (einer Spottschrift, oft in Versen, die an Häuser, Bäume oder Strohpuppen geklebt wurde; das Wort „Pasquille“ kommt aus dem Italienischen und bedeutet anonyme Schmähschrift) entspricht wohl eher dem heutigen „Shit-Storm“ und kann als dessen Vorläufer gesehen werden. Pasquillen waren in der Zeit zwischen 1860 und 1900 im Oberland, vor allem auch in den Haberer-Landkreisen häufig zu finden, waren oft mit fingierten Namen und dem Titel Haberfeldmeister unterschrieben und wurden dementsprechend den Haberern zugeschrieben. In der Presse nannte man sie „Kleine Haberfeldtreiben“.
Tatsächlich konnte jedermann solche einfach beschriebenen Blätter anfertigen und nachts aufhängen, der Zusammenhang mit dem Haberfeldtreiben ist meines Erachtens nicht ganz zwingend.“

Vwo: „Was denken Sie über die aktuelle Ausstellung hier im Waitzinger Keller?“

ESch: „Ich finde die Ausstellung sehr gelungen. Sie vermittelt einen guten Eindruck vom historischen Verlauf. Alle wichtigen Aspekte sind angesprochen und das Bildmaterial ist umfassend.“

 

Dr. Elmar Schieder erleben

Am 24. April um 19:00 Uhr kommt Dr. Elmar Schieder mit einer aktuellen Präsentation in den Waitzinger Keller. Der Eintritt ist frei.

 

Kontakte

www.elmarschieder.de

www.volkverlag.de

 

Das Buch

Im Buchhandel oder direkt beim Volk Verlag erhältlich.

„Als wär die Höll‘ ausgelassen“

Der Mythos Haberfeldtreiben

Fundiert recherchierter Überblick über die 200-jährige Geschichte des Haberfeldtreibens vom Experten zum Thema

ISBN:978-3-86222-452-4

Hardcover, 192 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen

Erscheinungstermin: April 2023

€ 24,90

 

Text: Dr. Elmar Schieder und Verena Wolf (www.miesbacher-verlagshaus.de)
Fotos: Volk Verlag, Stadtarchiv Miesbach, Florian Bachmeier, Andreas Leder

Impressionen

Haberfeldtreiben, © Florian Bachmeier
Haberfeldtreiben

© Florian Bachmeier

Haberfeldtreiben, © Florian Bachmeier
Haberfeldtreiben

© Florian Bachmeier

Haberfeldtreiben, © Florian Bachmeier
Haberfeldtreiben

© Florian Bachmeier

Haberfeldtreiben, © Andreas Leder
Haberfeldtreiben

© Andreas Leder

Haberfeldtreiben, © Andreas Leder
Haberfeldtreiben

© Andreas Leder

Haberfeldtreiben, © Andreas Leder
Haberfeldtreiben

© Andreas Leder

Haberfeldtreiben, © Andreas Leder
Haberfeldtreiben

© Andreas Leder

Haberfeldtreiben, © Andreas Leder
Haberfeldtreiben

© Andreas Leder

Plakat zur Ausstellung, © Kulturamt Stadt Miesbach
Plakat zur Ausstellung

© Kulturamt Stadt Miesbach