Primus PD 2L, © Erhard Pohl
Primus Logo, © Erhard Pohl

Das Vermächtnis der PRIMUS Traktorenwerke Miesbach

Vor knapp 100 Jahren revolutionierten die ersten Traktoren die Arbeit in der Landwirtschaft. Und weil mit PRIMUS seit 1938 eine der kreativsten und innovativsten Traktorschmieden in Miesbach stand, widmet Stadtrat und Oldtimerfan Erhard Pohl den rustikalen Treckern viel Herzblut.

 

Ein veritabler Recke

„Mein PRIMUS ist mein ganzer Stolz“, erklärt Erhard Pohl mit Überzeugung und schwingt sich gekonnt auf den Sitz seines mehr als urtümlich wirkenden Traktors. Dass der Zahn der Zeit heftig an der bulligen Landmaschine genagt hat, ist nicht zu übersehen. „Ich liebe diese Patina“, sagt Pohl und streichelt kurz über die rostige Haube.

Dieser PRIMUS, so erfahre ich, ist ein Modelltyp PD 2. „PD steht für PRIMUS Diesel. Und die 2 sagt, dass er einen 2-Zylindermotor hat. Der PD 2 ist ein echter Miesbacher Motor mit 20 PS, den PRIMUS selbst hier in Miesbach entwickelt hat“, erklärt Pohl, der sich über mein aufrichtiges Interesse freut. Der rüstige Traktor aus dem Jahr 1952 ist fahrbereit und steht mit mehreren Brüdern in der „Schupf“ der Oldtimerfreunde Miesbach. Hier wartet die kleine Flotte auf ihren nächsten großen Tag: Am 19. Juni 2022 werden zum dritten Mal Oldtimer aus nah und fern zum großen Treffen nach Miesbach kommen.

 

Wertvolle Oldtimer

„Wir erwarten dieses Jahr etwa 400 bis 500 Fahrzeuge zum Treffen auf dem Volksfestplatz“, freut sich Organisator Pohl und drückt mir schon einmal das Programm in die Hand. Um 10:00 Uhr wird es losgehen. Wenn dann an den drei Fotostationen die Ankömmlinge abgelichtet werden, sind die Traktoren der Marke PRIMUS wie immer die Stars im Getümmel. Denn mögen noch so viele Autos, Mopeds, LKWs, Feuerwehrlöschfahrzeuge, Sonderfahrzeuge – und sogar großväterliche Fahrräder sich ein Stelldichein geben – die Modelle der PRIMUS Traktorenwerke sind wertvolle Raritäten. Und außerdem sind die kraftvollen Bullis waschechte Miesbacher, begannen sie ihr Dasein doch zwischen 1938-1964 am Windfeld / an der Rosenheimer Straße, wo der Berliner Unternehmer und Technikpionier Johannes Köhler schon 1939 ein kleines Zweigwerk für die Entwicklung seiner Traktoren eingerichtet hatte.

 

Traktorpionier in Miesbach

Dieses Zweigwerk hatte sich für Köhler als eine der besten Ideen seines arbeitsreichen Unternehmerdasein erwiesen. Johannes Köhler war ein echter Technik-Visionär seiner Zeit. Er hatte zunächst in Berlin eine Vertretung für Deutz-Motoren, begann aber schon 1933 mit dem Bau eigener Fahrzeuge. Seine Idee: Leistungsfähige Zugmaschinen sollten die überkommenden, wackeligen Pferdefuhrwerke ersetzen, die damals noch zu Hunderten in Berlins Straßen Waren aller Art transportierten – von Lebensmitteln über Baumaterial bis zur Müllabfuhr. Seine Idee schlug ein, nicht zuletzt wegen des geschlossenen Führerhauses, das dem Fahrer Schutz vor Wind und Wetter bot, und der immerhin 7 bis 22 Pferdestärken (PS), die seine motorisierten Wagen aufbrachten. Sechs weitere Modelle folgten, ehe Köhler seine nächste Idee in Angriff nahm: Er wollte Zugmaschinen herstellen, die auf den Äckern und Feldern das Pferd mit Motorenkraft und weiterer Funktionalität ersetzen.

 

Was ist eigentlich ein Traktor?

Traktoren – das Wort kommt vom lateinischen „trahere = ziehen, tragen“ – werden auch als Schlepper oder Bulldog bezeichnet und sind heute nicht mehr aus unserer Landwirtschaft wegzudenken. Zu den festen Größen gehören die deutschen Marken Deutz und Fendt. Aus den USA kommen John Deree und Massey Ferguson. Und selbst die feurigen Lamborghini-Sportwagen haben arbeitssame Brüder, denn etwa um dieselbe Zeit, in der Johann Köhler nach dem Krieg seine Aktivitäten nach Miesbach verlegte, startete in Italien Ferruccio Lamborghini seine Traktorenfirma. Im deutschen Westen entwickelte LANZ/HELA revolutionäre Landmaschinen und die Maschinen des legendären bayrischen Traktorenbauers Eicher (1901-1998) sind heute hochbegehrte Sammlerstücke.

 

Die PRIMUS Traktorenwerke

Köhler, dessen junge Firma auch in die Kriegsmaschinerie des Dritten Reiches eingebunden war, verlor mit Kriegsende alles, was er aufgebaut hatte, bis auf Reste in Miesbach. Hier entstand ab 1946/47 die PRIMUS Traktoren-Gesellschaft, Johannes Köhler und Co. KG, Miesbach/Obb. Der Beginn war mühsam, denn die ersten Exemplare wurden aus Teilen von Vorkriegsmodellen zusammengestellt: Was den Krieg überlebt hatte, ließ Köhler nun mit Pferdefuhrwerken in die Fertigungsstätte an der Rosenheimer Straße bringen, wo das Unternehmen auf dem Gelände der Mechanischen Werkstätten Paul Mayer Unterschlupf gefunden hatte.

Und wieder hatte Köhler Erfolg – seine Traktoren, deren Leistungsfähigkeit und Funktionalität er mit über 20 Modellen kontinuierlich steigern konnte, verließen auf langen Waggons das Werk in Miesbach. Obwohl sie in alle Welt gingen, nahm das Unternehmen kein gutes Ende. PRIMUS hatte Finanzprobleme, ein Managementfehler bei einem Großauftrag brach den quirligen Erfindern das Genick. Schon 1961 ruhte der Traktorenbau, der 1964 ganz eingestellt wurde.

 

Ein Verlust!

Was mit dem Ende des Werkes verloren ging, beschreibt ein PRIMUS Besitzer in bewegenden Worten: „PRIMUS […] den besten Traktor, den ich je besaß.“ Wer sich für die technische Entwicklung interessiert, dem sei das Buch von Dr. Peter Lange: „Primus Traktoren: Eine Chronik.“ empfohlen (-> mehr siehe unten).

Für Sie, liebe Leserinnen und Leser ist aber sicher diese Überraschung interessant: PRIMUS fertigte Hybridmotoren. Seine Motoren funktionierten von Anfang als Verbindung von Brennstoff- und Stromantrieb. Eine seiner wichtigsten Erfindungen war der „PD 3 Elektropionier“: Mit einem Generator zwischen Motor und Getriebe konnte dieses Fahrzeug schon in den 50er-Jahren seinen eigenen Strom herstellen! Selbst den Prototyp eines Elektro-Lieferwagens mit eingebauter Batterie konnte das Köhler-Team um die genialen Konstrukteure Seibold und Heller realisieren. Übrigens fuhr Köhler selbst mit Strom: Sein schweres schwarzes Pullman-Cabriolet, ein beeindruckender 6-Sitzer von Horch hatte einen Elektroantrieb.

 

Ein Herz für den PRIMUS

All dies und noch viel mehr weiß Erhard Pohl zu erzählen. Und nicht nur das: Er ist einer der wenigen, die einen PRIMUS auch dann wieder zum Leben und Laufen bringen können, wenn der als armes Wrack irgendwo in einer Scheune gefunden wird. Pohl hat dann zwei Optionen: Entweder er erhält den aktuellen Zustand des Chassis mit seinem Rost und seinen „Narben“ oder er richtet den Traktor so her, dass er wie neu wirkt. Dabei kommt es nicht nur auf Erfahrung, technisches Knowhow, handwerkliches Geschick und Fingerspitzengefühl an. Pohl weiß auch, dass PRMUS Traktoren der Vorkriegszeit dunkelblau waren, später dann zunächst eine rote Grundierung bekamen, bis sie schließlich im extra entwickelten PRMIUS-Blau glänzten.

Seine Leidenschaft für alles, was fährt, geht dabei schon in die frühe Kindheit zurück. „Ich habe nicht nur die Freude am Machen und Bewegen im Blut, sondern auch die Freude am Schrauben“. Beides ist sozusagen Familienerbe, denn schon der Großvater besaß im Riesengebirge unter anderem eine Schmiede, eine Wagnerei und zwei Landwirtschaften. Der Vater, der nach fünf Jahren Kriegsgefangenschaft nach Miesbach kam, wurde Berufskraftfahrer – kein Wunder, dass Erhard Pohl seine Liebe zu Fahrzeugen früh entdeckt hat. Obwohl er beruflich andere Wege ging und im Finanz- und Immobiliensektor aus eigener Kraft reüssierte, hat er nebenbei immer Autos und Traktoren repariert. „Ich habe klein angefangen und als Jugendlicher Mopeds hergerichtet. Dann kamen Autos und schließlich Traktoren“.

 

Oldtimertreffen am 19. Juni

So lebt Erhard Pohl nicht nur einen Traum – man könnte sagen, dass er sich im Leben so manchen Traum erfüllt hat: Beruf und Familie wusste der Familienmensch und zweifache Vater immer in Einklang mit seinen Ehrenämtern zu bringen: Pohl ist Vorsitzender der CSU-Stadtratsfraktion, Badereferent und dazu Gründer und 1. Vorsitzender der Miesbacher Oldtimerfreunde, eines Vereins, der aktuell 200 Mitglieder zählt und die bemerkenswerten Oldtimer Treffen in Miesbach organisiert.

Treffpunkt ist in diesem Jahr der Waitzinger Parkplatz und der Platz am Habererschupf. Für die Teilnehmer gibt es neben Speis und Trank auch wieder die Registrierung samt Foto: Aus den gesammelten Daten entsteht dann der begehrte Erinnerungskatalog… „Um 12:00 hält der Bürgermeister eine Eröffnungsrede und um 13:00 folgt als Highlight des Tages mit der Versteigerung eines PRMUS PD 2 – Baujahr 1954 mit 20 PS. Der Erlös wird gespendet und zwar für den Ausbau des Inklusionsspielplatzes am Nordgraben. Wäre toll, wenn wir in den fünfstelligen Bereich kämen“, sagt Erhard Pohl.

Dann ist unser Interview auch schon zu Ende. Pohl muss sich jetzt sich um Versicherungen für den großen Tag kümmern, seine Vorstandskollegen kommen mit Neuigkeiten und den drei Enkelkindern hat er einen schönen Nachmittag versprochen… Wie schön, dass die großen Pionierleistungen von Johannes Köhler im Leben dieses engagierten Mannes ihren Platz gefunden haben. Denn hier sind sie gut aufgehoben.

 

Zum Weiterlesen:

Dr. Peter Lange: Primus Traktoren: Eine Chronik. 160 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. Verlag Podszun 2004| ISBN-10: ‎3861333473 | ISBN-13: ‎978-3861333470

ACHTUNG – der Titel ist derzeit nur antiquarisch erhältlich

 

Mehr Informationen zum Oldtimertreffen am 19.06.22 hier

 

Text: Verena Wolf
Fotos: Erhard Pohl

Impressionen

Oldtimerfreunde Miesbach, © Erhard Pohl
Oldtimerfreunde Miesbach

© Erhard Pohl

Primus Flotte, © Erhard Pohl
Primus Flotte

© Erhard Pohl

Erhard Pohl am Schrauben, © Erhard Pohl
Erhard Pohl am Schrauben

© Erhard Pohl

Primus, © Erhard Pohl
Primus

© Erhard Pohl

Erhard Pohl auf seinem Primus, © Erhard Pohl
Erhard Pohl auf seinem Primus

© Erhard Pohl

Primus PD 2L, © Erhard Pohl
Primus PD 2L

© Erhard Pohl